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Forschung
Es werde Licht!
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Für Solomon Agbo eine Herzensangelegenheit: der Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoffindustrie in Afrika
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Strom gehörte in seiner Kindheit in Nigeria nicht zu seinem Alltag: Heute koordiniert der 46-jährige Solomon Agbo in Jülich den „H2 Atlas Afrika“, der seinem Kontinent mehr Licht und damit neue Möglichkeiten bringen soll.
Kein Strom, kein Licht: „Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der es nur selten Elektrizität gab“, erzählt Dr. Solomon Agbo. Stattdessen erhellten flackernde Petroleumlampen und Kerzenlicht die dunklen Abende und Nächte seiner Familie in ihrem nigerianischen Heimatdorf.
Bild oben: Für Solomon Agbo eine Herzensangelegenheit: der Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoffindustrie in Afrika
Dabei gibt es in der Region Sonne satt, aus der sich Energie gewinnen ließe: Der afrikanische Kontinent verfügt über die meisten Solar-Ressourcen der Welt. Doch trotz großer Fortschritte in den vergangenen Jahren haben laut der Internationalen Energieagentur (IEA) noch immer rund 580 Millionen Menschen in Afrika keinen Strom – bei einer Bevölkerung von etwa 1,3 Milliarden Menschen.
Schon als Jugendlicher zerbricht er sich den Kopf, warum sein Land nicht in der Lage ist, die Energie der Sonne einzufangen. Denn: „Elektrizität bedeutet Bildung, Entwicklung und Chancen“, ist Agbo überzeugt. Der Gedanke an mehr Licht bestimmt fortan seinen beruflichen Werdegang: 2007 kommt Agbo nach seinem Physikstudium als Doktorand an die Delft University of Technology. Sein Schwerpunkt: die Entwicklung von Solarzellen und Solarzellenmaterialien. Ab 2015 verstärkt er als Humboldt-Stipendiat eine Photovoltaik-Arbeitsgruppe am Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung.
Doch dem Nigerianer reicht es nicht, Wissen im Labor zu generieren, zu tief sitzen seine Kindheitserinnerungen an die beißende, schwere Petroleumluft, an Hausaufgaben im Dunkeln. Agbo will sein Know-how an die Gesellschaft weitergeben. Deshalb zieht es ihn 2018 ins Wissenschafts- und Projektmanagement in die Unternehmensentwicklung des Forschungszentrums. Sein Herzensprojekt: eine nachhaltige Wasserstoffindustrie in Afrika aufzubauen, um seinem Kontinent endlich mehr Licht und damit mehr Möglichkeiten zu bringen. Der Name des Projekts: „H2 Atlas Afrika“.
Das von Jülich geleitete Vorhaben ist der Beginn einer Kooperation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und 31 afrikanischen Ländern in der Subsahara-Region. Das oberste Ziel: die besten Standorte für eine grüne Wasserstoffinfrastruktur im Süden und im Westen Afrikas zu finden.
0Millionen Menschen
in Afrika haben noch immer keinen Strom
Importe benötigt
Wasserstoff spielt eine zentrale Rolle bei der Energiewende in Deutschland, etwa als Energieträger für Brennstoffzellen, als Energiespeicher und als Grundstoff für die Industrie. So sieht es die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung vor. Doch Deutschland wird allein nicht genug Wasserstoff produzieren können. Jülicher Forschende vom Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-3) haben für das Jahr 2045 eine Nachfrage von rund 414,4 Terawattstunden berechnet, davon muss fast die Hälfte importiert werden. Die Bundesregierung strebt Kooperationen mit Ländern an, in denen sich grüner Wasserstoff herstellen lässt. Potenzielle Kandidaten sind wind- oder sonnenreiche Regionen wie der Süden und der Westen Afrikas. Das Potenzial dieser Regionen mithilfe des „H2 Atlas Afrika“ zu ermitteln, ist eine von 38 Maßnahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie.
„Wir benötigen ein solches Projekt aus mehreren Gründen“, erklärt Agbo. Da sei der Klimawandel, der Deutschland genauso betreffe wie Afrika. „Wir können ihn nur mithilfe von regenerativen Energien aufhalten“, erklärt der Physiker. Und in Afrika gebe es eben viel mehr Sonne als in Deutschland. West- und Südliches Afrika könnten so viel Erneuerbare Energie und daraus wiederum grünen Wasserstoff erzeugen, dass sowohl die eigenen Länder als auch Deutschland damit versorgt werden könnten. Schon heute bietet der Atlas eine interaktive Landkarte, die die besten Produktions-Hotspots in Westafrika zeigt. Im Laufe des Projekts wird er immer weiter ergänzt. „Wenn wir alle Informationen zusammen haben, wissen wir genau, an welchen Plätzen, in welchen Regionen wir die Möglichkeit haben, grünen Wasserstoff herzustellen, welche Mengen und vor allem zu welchen Kosten“, erklärt Agbo. Das seien entscheidende Informationen für deutsche und afrikanische Unternehmen, aber auch für die Regierungen. Solomon Agbo übernimmt eine Schlüsselposition. Als Projektkoordinator ist er der deutsch-afrikanische Mittler. Er spricht mit den Menschen vor Ort und weiß zugleich, wie Wissenschaftler:innen und deutsche Behörden ticken. Die beteiligten Menschen aus den afrikanischen Staaten vertrauen ihrem Landsmann: „Sie reden sehr offen mit mir. Und das ist wichtig. Denn wir müssen die Interessen eines jeden einzelnen Landes berücksichtigen“, erklärt Agbo. Zum Beispiel werden sowohl Wasser als auch Land für die Solaranlagen oder Windkrafträder benötigt, um grünen Wasserstoff herzustellen. Nun könne es aber nicht sein, dass die Afrikaner Wasserstoff herstellen, aber kein Gemüse mehr anpflanzen können und kein Grundwasser mehr zum Bewässern und Trinken haben. „Diese Bedürfnisse berücksichtigen wir, um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen“, betont Agbo. So sei man beispielsweise zu dem Entschluss gekommen, vor allem entsalztes Meerwasser für die Wasserstoffherstellung einzusetzen.
Bevor Afrika zum Wasserstoffexporteur wird, sollen aber zunächst die beteiligten Länder dauerhaft nachhaltig elektrifiziert werden. Das braucht Zeit: „Die Menschen müssen zunächst mit der Technologie vertraut gemacht und entsprechend ausgebildet werden“, erläutert Agbo. Eine der größten Herausforderungen sei, die verschiedenen Regierungen davon zu überzeugen, in die grüne Wasserstoffinfrastruktur zu investieren: „Viele setzen noch immer auf Kohle oder Gas“, erklärt Agbo. Da sei viel Aufklärungsarbeit notwendig.
Aber Agbo schaut nach vorn. Schon 2022 will das BMBF erste Pilotprojekte anschieben. Diese sollen die Situation vor Ort verbessern und zeigen, wie sich eine wirtschaftlich sinnvolle grüne Wasserstofflieferkette realisieren lässt. Der Physiker ist überzeugt: „Auf lange Sicht gesehen, ist diese Kooperation eine nachhaltige Win-win-Situation für Afrika und Deutschland.“
Katja Lüers
0Terawattstunden
grünen Wasserstoff könnte Afrika laut „H2 Atlas Afrika“ maximal pro Jahr erzeugen. Das ist etwa 1.500-mal so viel wie der in der Nationalen Wasserstoffstrategie für 2030 angenommene Wasserstoffbedarf Deutschlands.
Fit für grünen Wasserstoff
Das Forschungszentrum Jülich hilft nicht nur, das Potenzial von grünem Wasserstoff aus Afrika zu auszuloten. Es unterstützt auch die Ausbildung afrikanischer Studierender in diesem Zukunftsbereich – konkret im Masterstudiengang „International Master Program in Energy and Green Hydrogen“ (IMP-EGH). Der auf zwei Jahre ausgelegte Studiengang startete im Oktober 2021 in Niamey in Niger mit 60 Teilnehmenden aus 15 westafrikanischen Ländern.
In dem Studiengang lernen die künftigen Führungskräfte, Energieinfrastrukturen zu analysieren und nachhaltige Lösungen für die künftige Energieversorgung mit Schwerpunkt grüner Wasserstoff zu entwickeln. Jülich und die RWTH Aachen University unterstützen die Lehre und die Betreuung der Studierenden über Online-Tools und durch Besuche vor Ort. Zudem werden die Studierenden ein Semester in Deutschland verbringen, um Praxiserfahrungen zu sammeln und ihre Abschlussarbeiten zu schreiben.
Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studiengang ist ein Angebot des West African Science Service Centre on Climate Change and Adapted Land Use (WASCAL), an dem auch das Forschungszentrum Jülich beteiligt ist, und von vier afrikanischen Universitäten: der Université Felix Houphouet Boigny (Elfenbeinküste), der Université de Lomé (Togo), der Université Cheikh Anta Diop de Dakar (Senegal) und der Université Abdou Moumouni de Niamey (Niger).
Programme der vier westafrikanischen Universitäten:
https://wascal.org/renewable-energies/© 2022 Forschungszentrum Jülich