Mit ihrem Rastertunnelmikroskop wollen Jülicher Forschende um Prof. Ruslan Temirov (r.) und Dr. Taner Esat die ungewöhnlichen Eigenschaften von Quantenmaterialien untersuchen.
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Forschung
Aufbruch in ein neues IT-Zeitalter
Jülicher Forschende sind dabei, die Computertechnik auf ein völlig neues Fundament zu stellen. Ihre zahlreichen Erkenntnisse ebnen den Weg zum Quantencomputer.
Flüge optimal planen
Große Fluggesellschaften führen täglich mehr als 1.000 Flüge in mehr als 100 Städte weltweit durch. Deren Planung ist schwierig und entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg einer Fluglinie. Personal und Maschinen müssen möglichst effizient eingesetzt werden. Jülicher Forschende entwickeln in Zusammenarbeit mit Partnern des europäischen OpenSuperQ-Projekts bereits heute Rechenmethoden, um auf künftigen Quantencomputern optimale Flugpläne besonders schnell zu erstellen. Sie testen diese Rechenmethode unter anderem mit Quantencomputer-Simulationssoftware.
Erstaunlich stabiles Quantensystem
Quantensysteme gelten als äußerst fragil. Schon kleinste Wechselwirkungen mit der Umgebung können bewirken, dass die empfindlichen Quanteneffekte verloren gehen. Das scheint aber nicht immer der Fall zu sein, wie Forschende der TU Delft, der RWTH Aachen und des Forschungszentrums Jülich festgestellt haben. Bei einem Quantensystem aus zwei gekoppelten Titanatomen blieb die Quanteninformation auch nach einem plötzlichen Stromstoß erhalten. Das Ergebnis sorgte für einige Diskussionen in der Fachwelt. Möglicherweise muss man bei der Erzeugung dieser Quantenzustände etwas weniger vorsichtig sein als bisher gedacht. Die Forschenden wollen nun überprüfen, ob ihr Ergebnis auch für größere Quantensysteme gilt.
Künstlerische Darstellung des Experiments mit den zwei gekoppelten Titanatomen
Quanten-KI für die Autoindustrie
Software, die lernfähig ist und ohne feste Regeln für jede Situation auskommt, gehört in der Autoindustrie und anderen Hightech-Branchen bereits zum Alltag. Doch diese Künstliche Intelligenz (KI) benötigt häufig sehr viel Rechenzeit. Das Projekt Q(AI)2, das vom Forschungszentrum Jülich koordiniert wird, lotet aus, inwieweit Quantencomputer in der Autoindustrie Anwendungen mit KI beschleunigen können – etwa flexible Produktionsabläufe optimieren oder selbstfahrende Autos kollisionsfrei durch den Verkehr steuern. Zum Konsortium gehören unter anderem die Autohersteller BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sowie der Zulieferer Bosch und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.
Frank Wilhelm-Mauch, Direktor am Jülicher Peter Grünberg Institut und Professor für Theoretische Physik an der Universität des Saarlandes, koordiniert das Projekt Q(AI)2
Tempolimit beim Quantentransport
Selbst in der Quantenwelt mit ihren besonderen Regeln lassen sich Informationen nicht beliebig schnell übertragen. Ein internationales Team unter Beteiligung des Jülicher Quantenphysikers Prof. Tommaso Calarco hat nun die höchste Geschwindigkeit ermittelt, mit der das gelingt – bedeutsam für Quantencomputer, bei denen Atome als Qubits dienen, also als Träger der Informationen. Um Berechnungen durchzuführen, müssen diese Atome in den Prozessoren eines solchen Quantencomputers verschoben werden.
Das muss möglichst rasch geschehen, weil die Qubits nach einer gewissen Zeit ihren Quantenzustand einbüßen und damit die enthaltene Information verlieren. Durch das ermittelte Tempolimit ist nun klar, wie oft sich ein Atom in dieser Zeit verschieben lässt, also wie viele komplexe Quantenoperationen ein Quantencomputer durchführen kann.
Tommaso Calarco ist Direktor am Jülicher Peter Grünberg Institut und Professor für Theoretische Physik an der Universität zu Köln.
„Die Existenz des Tempolimits bedeutet jedoch nicht, dass Quantencomputer möglicherweise gar nicht so schnell rechnen werden wie bisher gedacht“, betont Calarco. Denn dafür sei entscheidend, dass sie viel weniger Operationen benötigten, um eine bestimmte Aufgabe zu meistern, als klassische Computer.
Mehr zu den Quanten am Limit im Interview mit Tommaso Calarco:
go.fzj.de/QuantenlimitQuantenmikroskop „made in Jülich“
Manch bizarre Eigenschaft der Quantenwelt lässt sich unter dem Rastertunnelmikroskop beobachten. Jülicher Physiker haben dafür ein solches Gerät weiterentwickelt, um noch genauere Einblicke zu bekommen. Rastertunnelmikroskope bilden Materialien mit atomarer Präzision ab und sind viel genutzte Instrumente, um die Nanowelt zu erkunden. „Wir haben in jahrelanger Arbeit ein Mikroskop mit magnetischer Kühlung entwickelt. Dadurch unterscheidet sich unser Gerät von allen anderen in etwa wie ein Elektroauto von einem Auto mit Verbrennungsmotor“, sagt der Jülicher Physiker Prof. Ruslan Temirov. Dank dem neuen Kühlsystem arbeitet das Mikroskop bei extrem tiefen Temperaturen nahezu vibrationsfrei. Es eignet sich daher weit besser als herkömmliche Geräte, um die ungewöhnlichen Eigenschaften von Quantenmaterialien nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius (0 Kelvin) zu erkunden. Oft treten bei solchen Temperaturen besondere Quantenphänomene zutage, die Wissenschaftler genau verstehen müssen, um Quantencomputer voranzubringen. „Im nächsten Schritt wollen wir einen kommerziellen Prototyp entwickeln“, sagt Prof. Stefan Tautz, Direktor am Jülicher Peter Grünberg Institut.
Quantenmikroskop_009Quantenmikroskop_003Kabel, Schläuche und viele andere Bauteile: Aber dank Magnetkühlung kommt das Jülicher Quantenmikroskop ohne bewegliche Teile aus.
Quantenmikroskop_007Das Prinzip der Magnetkühlung ist nicht neu. Die Jülicher Forschenden – im Bild: Dr. Taner Esat (l.) und Danyang Liu – sind allerdings die Ersten, die ein Rastertunnelmikroskop mit dieser Technik konstruiert haben.
Quantenmikroskop_011Durch die neue Kühltechnik verbessert sich nicht nur die Qualität der Abbildungen, auch die Bedienung des Geräts vereinfacht sich für das Team um Prof. Stefan Tautz, Dr. Taner Esat und Prof. Ruslan Temirov (v.l.n.r.).
Quantenmikroskop_017Mit seinem modularen Design ist das Jülicher Quantenmikroskop offen für technische Fortschritte, die Forschenden – im Bild Danyang Liu – können leicht Upgrades einbauen.
Quantenmikroskop_027Die Aufnahmen, die das Quantenmikroskop liefert, können die Forschenden am Rechner begutachten und auswerten – im Bild: Danyang Liu, Prof. Stefan Tautz, Dr. Taner Esat und Prof. Ruslan Temirov (v.l.n.r.).
Kooperation bei exotischem Qubit-Kandidaten
Es gibt mehrere Möglichkeiten, Qubits für Quantencomputer zu verwirklichen: beispielsweise supraleitende Schaltkreise, Ionenfallen oder Halbleiter-Quantenpunkte. Zu den Kandidaten zählen auch topologische Isolatoren in einer supraleitende Josephson-Brücke. Topologische Isolatoren sind eine besondere Materialklasse: Ihr Inneres wirkt als Isolator, die Oberflächen leiten nahezu verlustfrei Strom, weil dort der Drehimpuls und die Bewegungsrichtung der Elektronen miteinander gekoppelt sind. Wird dieses Material in eine sogenannte supraleitende Josephson-Brücke eingebaut – hier liegt zwischen zwei Supraleitern ein Isolator, der unter bestimmten Bedingungen selbst als Supraleiter wirkt –, entstehen exotische, sehr stabile Quantenzustände. Mit solchen Bauelementen könnten Störungen, die bei der derzeitigen Technologie während der Rechenoperationen entstehen und zu Fehlern in den Rechnungen führen, drastisch reduziert werden. Die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und das Forschungszentrum Jülich arbeiten seit mehreren Jahren eng bei der Erforschung topologischer Materialsysteme zusammen. Künftig fördert der Freistaat Bayern die Kooperation mit 13 Millionen Euro für die Entwicklung von Quantencomputing-Anwendungen.
Texte: Frank Frick
Prozessierung von Josephson Junctions und Qubits in der Helmholtz Nano-Facility (HNF)
Quantencomputer für Europa
Im Projekt OpenSuperQ entsteht in Jülich der erste frei programmierbare europäische Quantencomputer. 10 Partner aus Forschung und Industrie entwickeln und bauen den neuen Rechner. Doch wie funktioniert das Rechnen der Zukunft eigentlich genau? Ein Video gibt Einblicke in die Technologien und Prozesse. Mehr zur Jülicher Quantenforschung finden Sie unter: fzj.de/quanten
und in der Titelgeschichte der effzett 1-21 „Abenteuer Quantenkosmos“.© 2022 Forschungszentrum Jülich