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Forschung
Zahlen schätzen, Folgen messen
Corona ist nicht vorbei. Solange es keinen Impfstoff gibt, der in ausreichender Menge zur Verfügung steht, wird das Virus weiterhin unser Leben beeinträchtigen. Jülicher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen indessen, wie sich die Einschränkungen des Alltags auf die Umwelt auswirken, und verbessern Vorhersagen zur Ausbreitung des Virus.
Hochsaison für Klimaforschung
Die Gelegenheit beim Schopf packten Jülicher Klimaforschende. Sie starteten umfangreiche Messkampagnen, um die Änderung der Luftqualität während des Shutdowns im Frühjahr und auch in der Zeit danach zu dokumentieren. Zwei Wetterballons, bestückt mit Jülicher Instrumenten, stiegen bis in Höhen von 29 Kilometern auf. Für die bodennahen Messungen zwischen 200 und 1.000 Meter Höhe kam ein mit Jülicher Hightech ausgerüsteter Zeppelin NT zum Einsatz sowie das Jülicher Messfahrzeug MobiLab, das am Boden Vergleichsproben sammelte. Die Kampagnen erfassten Werte zu einer Vielzahl von Spurengasen sowie Kohlenmonoxid, Stickoxide, CO2, FCKW, Methan, Wasserdampf, Ozon und den Feinstaubgehalt der unterschiedlichen Luftschichten. Erste Ergebnisse zeigen, dass der Shutdown keinen großen Einfluss auf den CO2-Gehalt in der oberen Troposphäre und Stratosphäre in rund 15 Kilometer Höhe hatte. „Wir pumpen seit über 200 Jahren Milliarden Tonnen an Kohlendioxid in die Luft – da kann man nicht erwarten, dass das in ein paar Wochen deutlich weniger wird oder gar weg ist“, stellt Dr. Johannes Laube vom Institut für Energie- und Klimaforschung klar. Weitere Messungen und die Auswertung aller Daten laufen derzeit. Die Ergebnisse fließen in mehrere Klimamodelle ein, um Wissenslücken zu schließen und zum Beispiel die Auswirkungen einer durchgreifenden Verkehrswende auf die Luftqualität in verschiedenen Regionen vorherzusagen.
Tagesaktuelle Corona-Vorhersagen
Wie entwickeln sich die Infektionszahlen in meiner Region oder am geplanten innerdeutschen Reiseziel? Antworten liefern Ergebnisse eines Modells, die Neuroinformatiker der Universität Osnabrück und Datenspezialisten des Forschungszentrums Jülich bereitstellen. Das Modell berechnet auf Basis der Daten des Robert Koch-Instituts eine Fünf-Tages-Prognose für jeden Landkreis Deutschlands. Die Ergebnisse sind interaktiv im Internet aufrufbar. Das Modell bezieht auch Infektionsgeschehen aus Nachbarregionen mit ein, um die Dynamik der Ausbreitung besser bewerten zu können.
Zur landkreisbezogenen Corona-Vorhersage:
covid19-bayesian.fz-juelich.de0,00Prozent
mehr Strom: Photovoltaikanlagen im indischen Delhi haben zu Beginn der Corona-Krise im März 2020 deutliche mehr Ertrag erzielt, als sonst zu dieser Jahreszeit üblich. Durch den Rückgang der menschengemachten Luftverschmutzung infolge des Corona-Lockdowns konnte mehr Sonnenlicht zu den Photovoltaikanlagen durchdringen, stellten Wissenschaftler der Jülicher Außenstelle des Helmholtz-Instituts Erlangen-Nürnberg gemeinsam mit Partnern des Massachusetts Institute of Technology und des Solarunternehmens Cleantech Solar fest. Die Forscher hatten damit gerechnet, waren aber überrascht, wie deutlich der Effekt ausfiel.
3 Fragen an …
… Laura Helleckes und Michael Osthege, Doktoranden am Institut für Bio- und Geowissenschaften (IBG-1). Die Biotechnologen helfen dabei, Schätzungen zum tagesaktuellen R-Wert für Deutschland und die USA bereitzustellen. Dieser Wert gibt an, wie viele Menschen eine infizierte Person in einer bestimmten Zeiteinheit im Mittel mit dem neuartigen Coronavirus ansteckt.
Wie kommt es, dass sich Biotechnologen mit dem R-Wert beschäftigen?
Laura Helleckes: In der Biotechnologie müssen Hunderte von automatisch ablaufenden Experimenten zum Wachstum von Bakterien zeitnah ausgewertet und in Modelle umgesetzt werden. Für die Statistikauswertungen entwickeln wir die nötigen Software-Werkzeuge. Dazu nutzen wir ein Open-Source-Modul namens PyMC3. Genau das verwenden auch die Macher der Webseite https://rt.live für ihre R-Wert-Schätzungen in den USA.
Laura Helleckes Und mit denen sind Sie dann in Kontakt gekommen?
Michael Osthege: Genau, rt.live hatte technische Schwierigkeiten und der Instagram-Gründer Kevin Systrom, einer der Köpfe hinter rt.live, wandte sich an das Entwicklerteam von PyMC3. So wurden wir auf das Projekt aufmerksam und begannen unsere Expertise einzubringen.
Sind Wachstumsexperimente und R-Wert nicht zwei unterschiedliche Dinge?
Michael Osthege: Mathematisch gesehen gibt es keinen großen Unterschied bei der Auswertung solcher Daten. Unsere Erfahrungen zur Automatisierung dieser Art von Modellen ließen sich daher gut übertragen. Es stellte sich sogar heraus, dass wir uns für die Auswertung unserer eigenen Experimente ein paar Dinge vom Rtlive-Modell abschauen konnten.
Laura Helleckes: Wir haben das Wissen dann auf deutsche Daten angewandt und zusätzlich die Webseite https://rtlive.de mit der täglichen Vorhersage des R-Werts für deutsche Bundesländer entwickelt.
Das komplette Interview finden Sie hier:
fzj.de/r-wert-coronaMehr zur Jülicher Corona-Forschung unter:
fz-juelich.de/coronaMichael Osthege Texte: Brigitte Stahl-Busse
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