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    Stroh zu Gold spinnen

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    Stroh zu Gold spinnen

    Stroh, Holzabfälle oder Bagasse aus der Zuckerrohrherstellung sind für Biotechnologen eine Rohstoffquelle: Daraus lassen sich mithilfe von Bakte­rien Wertstoffe gewinnen.

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    Jülicher Forschende haben nicht nur Plastikmüll als Rohstoffquelle im Blick. Ein weiterer riesiger Berg ungenutzter Ressourcen sind Pflanzenabfälle. Sie machen rund 50 Prozent der weltweiten Ernten aus. Hierfür haben sich der Mikrobiologe Prof. Jan Marienhagen und der Bioverfahrenstechniker Dr.-Ing. Stephan Noack zusammengetan. Ihr Ziel ist es, wertvolle Biobausteine aus Pflanzenabfällen zu gewinnen, die üblicherweise geschreddert und untergepflügt oder verbrannt werden.

    Bild oben: Stroh, Holzabfälle oder Bagasse aus der Zuckerrohrherstellung sind für Biotechnologen eine Rohstoffquelle: Daraus lassen sich mithilfe von Bakte­rien Wertstoffe gewinnen.

    Beide möchten den Stoffwechsel von Bakterien bis ins Detail verstehen und ihn optimieren. Auf dieser Basis entwickeln sie dann industriell relevante Produktionsprozesse. Im Idealfall bedeutet dies: die struppigen Reste von ausgepresstem Zuckerrohr, die Bagasse, vorne rein und wertvolle Grundbausteine für Biokunststoffe, Medikamente, Lebensmittel- oder Zementzusätze hinten raus. „Bagasse, Stroh oder Holzabfälle haben den Vorteil, dass sie von Natur aus abbaubar sind und dafür nicht extra Pflanzen angebaut werden müssen. Es werden also keine zusätzlichen Anbauflächen verschlungen, es gibt keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion“, sagt Jan Marienhagen. „Pilze und Bakterien, welche die Zuckerbausteine dieser Pflanzenabfälle verstoffwechseln und in höherwertige Produkte umwandeln, sind jedoch für den Einsatz im Labor oftmals ungeeignet, da ihre Bedürfnisse zum Überleben meist sehr speziell sind“, fügt er an.

    Wertvolles aus Zucker

    Das Bakterium Caulobacter crescentus ist einer dieser speziellen Genossen, der beispielsweise den Zucker Xylose verwerten kann. Xylose ist ein wesentlicher Baustein von Pflanzenzellwänden und macht bis zu 20 Prozent der Biomasse von Pflanzen aus, auch beim Zuckerrohr. Beim bakteriellen Abbau von Xylose entstehen Zwischenprodukte, die für die Industrie hochinteressant sind:
    D-Xylonat könnte zukünftig bei der Herstellung von Zement und Lebensmittelfarbstoffen eingesetzt werden, Succinat findet aktuell bereits Anwendung in der Produktion von Kunststoffen und Lösungsmitteln und α-Ketoglutarat ist ein begehrter Rohstoff für Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente. Die Fähigkeiten von Caulobacter crescentus sind also gefragt. Das Bakterium hat jedoch die Eigenschaft, sich in feuchter Umgebung fast untrennbar an Oberflächen zu heften. „Für die Prozessentwicklung ist dieses Bakterium daher ein Albtraum“, sagt Stephan Noack, „es würde einfach alle Wände, Leitungen und die Sensorik unserer Laboranlagen besiedeln und verstopfen.“

    Der Mikrobiologe Jan Marienhagen und der Ingenieur Stephan Noack arbeiten eng zusammen, wenn es darum geht, Bakterien fit für den industriellen Einsatz zu machen.

    Ein gutmütiges Labor-Arbeitspferd ist im Gegen­satz dazu das robuste und anspruchslose Boden­bakterium Corynebacterium glutamicum. Seit über 60 Jahren erfreut es sich großer Beliebtheit in Forschung und Industrie. Mit seiner Hilfe produzieren Biotechnologie-Firmen Produkte im Wert von mehreren Milliarden Euro pro Jahr, zum Beispiel lebenswichtige Aminosäuren für Infusionslösungen oder als Zusatz für Futtermittel.

    Überraschungen inklusive

    Ein Gentransfer zwischen den beiden Bakterienarten könnte also die Lösung sein. Hierfür schauten sich die Forschenden zunächst einmal genau an, wie Caulobacter crescentus es schafft, den schwer verdaulichen Zucker Xylose zu knacken. Sie untersuchten sowohl die beteiligten Enzyme und zugehörigen Gene, die diese verschlüsseln, als auch die Reihenfolge der fünf Reaktionsschritte, welche Xylose in Energie und weitere Stoffwechselprodukte umwandeln.

     

    Erstaunlicherweise verfügt Corynebacterium glutamicum von Natur aus schon über drei dieser fünf Schritte, wie die Arbeitsgruppe um Jan Marienhagen feststellte. Zusätzlich überraschte das eigentlich sehr gut erforschte Bakterium die Wissenschaftler mit einem Bonus: Ein bisher unbekanntes Enzym, das den fünften und letzten Schritt in diesem Prozess beschleunigt. „Der Eingriff in den natürlichen Stoffwechsel konnte also wesentlich geringer ausfallen, um unserem Corynebacterium die Fähigkeiten von Caulobacter zu übertragen und dazu zu bringen, Xylose abzubauen“, beschreibt Marienhagen das Vorgehen. „Je weniger Eingriffe, desto geringer ist der Stress für die Zellen. Letztlich sollen sie sich im Bioreaktor wohlfühlen. Nur so erzielen wir später auch gute Ausbeuten der gewünschten Stoffe“, fügt Stephan Noack an.

    1

    Prozent

    der weltweiten Ernten werden zu Pflanzenabfällen.

    Das Team testet zurzeit, ob sich die Produktivität von Corynebacterium glutamicum im Labor noch steigern lässt. Hierbei setzen die Forschenden nicht auf weitere Gentransfers, sondern auf gezielte Veränderungen der Laborbedingungen. Sie untersuchen etwa, ob sich ihr Arbeitspferd anpasst, wenn das Nährstoffangebot variiert. „Der bisherige Ertrag der begehrten Stoffe mit den so gezüchteten neuen Stämmen ist im Labor­maßstab schon sehr vielversprechend“, freut sich Stephan Noack. Auch die Industrie ist interessiert und hat erste Proben des bakteriell hergestellten D-Xylonats angefordert, um seine Eignung für die Zementherstellung zu testen.

     

    Zucker als Rohstoff könnte auch aus einer anderen Quelle kommen, nämlich der regionalen Nahrungsmittelindustrie. Das Projekt UpRePP des BioökonomieREVIERs Rheinland möchte zuckerhaltige Abfälle durch Bakterien zu Polymer­bausteinen umsetzen, etwa um Bioplastik her­zustellen. In dem Vorhaben kooperieren Jan Marienhagen, Stephan Noack und Nick Wierckx mit der RWTH Aachen. 2021 sollen erste Ergebnisse vorliegen.

     

    Mehr zur Biotechnologie und Bioökonomie in Jülich im Blog: blogs.fz-juelich.de/biooekonomie

     

    Brigitte Stahl-Busse

    Künstlerische Abfallverwertung

    Auch die tschechische Künstlerin Veronika Richterova nutzt Plastikmüll als Rohstoff: Seit 2004 erschafft sie aus PET-Flaschen Lampen, Skulpturen, Tiere und Pflanzen – so auch die Blumen auf unserem Titel. Inzwischen hat die Künstlerin Tausende Flaschen zu Objekten verarbeitet. Mehr Arbeiten von ihr sind zu sehen unter:
    www.veronikarichterova.com/en

    Biotechnologie verbindet

    Jülicher Forschende schauen tief in die Zellen hinein: Sie wollen verstehen, wie diese funktionieren, wo ihre besonderen Stärken liegen, wo ihre Schwächen. Dafür entschlüsseln sie die chemische, biologische und genetische Ausstattung der Mikroorganismen und ergründen ihren Stoffwechsel, um diesen für verschiedene Anwendungen neu auszurichten. „Dank solcher optimierten Mikroorganismen lassen sich aus pflanzlichen und industriellen Rest- und Rohstoffen höherwertige Produkte herstellen. Das macht deutlich: Die Biotechnologie ist ein entscheidendes Element, um eine echte Kreislaufwirtschaft im Sinne einer nachhaltigen Bioökonomie zu etablieren“, erklärt Prof. Wolfgang Wiechert, Direktor des Jülicher Instituts für Biotechnologie (IBG-1). Hierzu arbeiten die Forschenden seit über zehn Jahren eng vernetzt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Fachbereichen zusammen, sowohl international als auch im Bioeconomy Science Center, einem Verbund der RWTH Aachen, des Forschungszentrums Jülich und der Universitäten Düsseldorf und Bonn. Auch am Strukturwandel der Modellregion BioökonomieREVIER Rheinland sind sie beteiligt. „Dabei forschen wir an Fragestellungen, für die es noch keine Standardlösungen gibt“, betont Wiechert.

    Bilder: Forschungszentrum Jülich/Sascha Kreklau, Elena Elisseeva/Shutterstock.com, Veronika Richterová, Roses (2007), Foto: Michal Cihlář

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