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Titelthema
Appetit auf Abfall
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Appetit auf Abfall
Mit Mikroorganismen und Enzymen gegen die Plastikflut: Nick Wierckx und sein Team möchten Plastikabfälle mithilfe von Bakterien abbauen. Dabei sollen neue Rohstoffe entstehen.
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Plastik vermüllt unsere Erde bis in den letzten Winkel. Winzige Lebewesen könnten dieses Problem beseitigen: Bakterien. Sie sollen künftig nicht nur diesen Müll abbauen, sondern daraus wertvolle Bausteine für umweltverträgliche Produkte gewinnen. Auch aus Pflanzenabfällen könnten sie nützliche Rohstoffe produzieren. Jülicher Biotechnologen wollen so eine biobasierte Kreislaufwirtschaft aufbauen.
Als im Jahr 2016 japanische Forscher Bakterien entdeckten, die Plastikflaschen anknabbern, staunte selbst die Fachwelt. Galten die glatten künstlichen Oberflächen doch bis dahin als unverdaulich. Die weltweite Plastikmüll-Apokalypse, vom großen pazifischen Müllstrudel bis hin zum omnipräsenten Mikroplastik, werden die Mikroorganismen aus Japan vorerst jedoch nicht lösen. Sie arbeiten schlicht zu langsam. Jülicher Biotechnologen packen das Thema nun von zwei Seiten an: Sie züchten zum einen Bakterien, die den Plastikmüll schneller zersetzen und Reststoffe produzieren, aus denen sich Biokunststoffe herstellen lassen. Zum anderen trainieren sie Mikroorganismen, um aus Pflanzenabfall Grundbausteine für recycelfähigen Biokunststoff und andere Produkte zu gewinnen. Das Ziel der Jülicher Biotechnologie: eine biobasierte Kreislaufwirtschaft, die aus vermeintlich wertlosen Reststoffen wertvolle Rohstoffe gewinnt.
Bild oben: Mit Mikroorganismen und Enzymen gegen die Plastikflut: Nick Wierckx und sein Team möchten Plastikabfälle mithilfe von Bakterien abbauen. Dabei sollen neue Rohstoffe entstehen.
359 Millionen Tonnen Kunststoffe auf der Basis von Erdöl werden derzeit jährlich weltweit produziert, Tendenz steigend. Rund 80 Prozent davon sind kurzlebige Produkte wie Tüten, Flaschen, Folien oder Verpackungen. „Nur 14 Prozent davon werden wiederum weltweit gesammelt und nur 12 Prozent von diesem kleinen Anteil werden dann überhaupt recycelt, das sind nur 5 Millionen Tonnen“, erklärt Prof. Nick Wierckx vom Jülicher Institut für Biotechnologie (IBG-1). Deutschland zum Beispiel kommt laut Plastik-Atlas 2019 auf eine Recyclingquote von lediglich 15,6 Prozent. „Der Rest landet bei uns meist in Verbrennungsanlagen zur Erzeugung von Energie, in anderen Regionen der Erde jedoch oft auf schlecht gemanagten Mülldeponien oder im schlimmsten Fall einfach auf wilden Müllkippen in der Natur“, sagt der Biotechnologe.
Auch wenn in der EU ab Mitte 2021 Trinkhalme und anderes Einweggeschirr aus Plastik verboten sind, der Plastikabfall der vergangenen Jahrzehnte hat sich längst überall angesammelt: nicht nur in Form von deutlich sichtbarem Müll im Straßengraben und am Strand oder in riesigen Plastikstrudeln in den Ozeanen, sondern auch in Form von für das Auge unsichtbaren Fasern und Mikroteilchen. Diese stammen aus dem Abrieb von Kleidung und Autoreifen, zerfallenen Verpackungen oder Kosmetikprodukten. Sie sind teilweise so winzig, dass sie vom Wind verweht werden und mit dem Regen vom Himmel fallen.
Forschende finden die fein zerriebenen Kunststoffe im Schnee von den Alpen bis hin zur Arktis, in Flüssen und Seen sowieso, sogar in der Gischt von Meerwasser, im Grund- und Leitungswasser oder in der Bodenkrume von Ackerflächen. Selbst im deutschen Bier wurden sie fündig. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Plastikrückstände auch in der Atemluft und den Nahrungsketten landen. Sie werden mit Krebs, entzündlichen Prozessen und hormonellen Störungen in Verbindung gebracht.
0,00Milliarden Tonnen
Plastik wurden in den vergangenen 70 Jahren weltweit produziert.
Prof. Wierckx und seine Kolleginnen und Kollegen haben zweierlei vor: Zunächst möchten sie dem Plastik-Müllberg mithilfe von Enzymen und Bakterien zu Leibe rücken und ihn umweltschonend abbauen. Aus den Einzelbausteinen, die beim Abbau entstehen, wollen sie dann neuen, biobasierten Kunststoff herstellen. Inspiriert wurden sie unter anderem von dem Bakterium, das die japanischen Wissenschaftler vor vier Jahren entdeckten. Ideonella sakaiensis wurde unweit einer Recyclinganlage auf halb verrotteten PET-Flaschen gefunden. Das Bakterium heftet sich zunächst an den Kunststoff an und sondert Enzyme ab. Diese Enzyme trennen die langen Kettenmoleküle des PETs in ihre einzelnen Glieder auf. Das Bakterium verstoffwechselt diese Bruchstücke dann weiter, bis nur noch Wasser und Kohlenstoff übrig sind.
Die Kräfte der Natur zerreiben Plastikabfälle in immer kleinere Bruchstücke, bis sie mit dem bloßen Auge nicht mehr zu erkennen sind. Schneller und effektiver
„Leider arbeiten diese in Japan gefundenen Bakterien extrem langsam. Für einen nur wenige Zentimeter kleinen und dünnen Streifen Kunststoff brauchten die Bakterien über 60 Tage“, sagt Nick Wierckx. Dabei schwankt deren Leistung: Mal sind die Bakterien sehr fleißig, dann wieder nicht. Außerdem vermehrt sich Ideonella nur sehr langsam. Wierckx und sein Team setzen daher auf das Bakterium Pseudomonas putida. Zuerst wird das Plastik mithilfe von optimierten Enzymen bei hohen Temperaturen innerhalb von wenigen Tagen zersetzt. Danach wandelt das Bakterium die Plastiksuppe weiter um.
„Die Bakterien bauen in unserer Suppe Kunststoffe wie PET und bioabbaubares Plastik wie PLA ab.“
Prof. Nick Wierckx,
INSTITUT FÜR BIO- UND GEOWISSENSCHAFTEN (IBG-1)„Pseudomonas putida ist sehr robust und ein alter Bekannter, wenn es zum Beispiel darum geht, kontaminierte Böden zu säubern: Es überlebt selbst in einer Umgebung mit hohen Werten an Schad- und Giftstoffen“, erklärt der Experte. Gerade diese Eigenschaft ist wichtig, da die Forschenden eine Abbaumethode entwickelt haben, bei der es auch für Mikroorganismen ungemütlich wird. Die Forschenden setzen das Bakterium nämlich nicht auf einzelne Plastikflaschen an, sondern lassen es in einer Brühe aus verschiedenen Kunststoffen wirken.
„In dieser Plastiksuppe haben spezielle Enzyme die verschiedenen Kunststoffe vorverdaut, das erleichtert unseren Bakterien die Arbeit. Das Verfahren haben wir zusammen mit Kollegen der RWTH Aachen und der Universität Leipzig entwickelt“, erläutert Nick Wierckx. Der Vorteil des Gemischs aus verschiedenen Kunststoffen: Der Plastikabfall muss nicht vorsortiert werden. „Die Bakterien bauen in der Suppe genau die Kunststoffe ab, für die ihre neue Enzymausstattung geeignet ist. In unserem konkreten Fall die Plastiksorte PET, aber auch bioabbaubares Plastik wie PLA. Der Rest bleibt übrig und wird chemisch weiterverarbeitet“, so der Biotechnologe. Auf diese Weise zersetzen die Jülicher Labor-Bakterien innerhalb von nur vier Tagen Plastikschnipsel, die in der Natur nach 400 Jahren noch nicht zerfallen wären.
0Jahre
dauert es, bis sich eine Verpackung, eine Flasche, ein Quarkbecher oder eine Tüte aus Plastik in der Natur zersetzt.
Das Ziel der Forschenden ist es, ihre Bakterien dazu zu bringen, möglichst viele verschiedene Plastiksorten zu verdauen, damit der Recyclingprozess möglichst effizient abläuft. Darüber hinaus bringen die Jülicher Forschenden Pseudomonas auch dazu, aus der bunten Plastiksuppe wertvolle Chemikalien wie zum Beispiel aromatische Verbindungen zu synthetisieren. Aus diesen Aromaten lassen sich dann neue, umweltverträglichere Kunststoffe herstellen. So schließt sich der Kreis: von Plastikabfall zu neuen, umweltschonenden Materialien.
Neue Wege finden
Die Jülicher Biotechnologen gehen dazu gemeinsam mit Arbeitsgruppen der Universität Düsseldorf mehrere Wege. Ein Pfad führt über Punktmutationen, winzige, gezielte Änderungen in der genetischen Information, damit die Bakterien noch andere hilfreichere Enzyme produzieren können. Ein anderer Weg ist das Nachbilden bereits bekannter Enzyme am Rechner, um ihre Interaktion mit den Plastikmolekülen bis ins Detail zu verstehen und durch Computersimulationen eine bessere – also effektivere – Variante zu finden, die Kunststoffe zum Beispiel noch schneller abbaut. Die dritte Route ist, in Bakterien bisher unbekannte Enzyme zu finden, die zum Beispiel bei niedrigeren Temperaturen arbeiten, damit sie auch in Kläranlagen eingesetzt werden könnten. „Solche Kandidaten wollen wir mit Partnern im Projekt PlastiSea zum Beispiel im atlantischen Plastikstrudel finden“, sagt Doktorandin Rebecka Molitor vom Düsseldorfer Institut für Molekulare Enzymtechnologie. „So haben wir bereits entdeckt, dass Meeresbakterien der Sorte Pseudomonas aestusnigiri ebenfalls Kunststoffe verwerten“, fügt sie an.
Im Labor sind solche Salzwasserbakterien schwer zu halten, weil ihre Ansprüche an Temperatur und Umgebung zu komplex sind – aber ihre Enzyme nehmen die Forschenden in Jülich und Düsseldorf trotzdem unter die Lupe. So haben sie die genetische Information der Enzyme in vergleichsweise anspruchslose Bakterien übertragen. Mit den veränderten Bakterien lassen sich im Labor Polyester aus Beschichtungen von Textilien oder PET-Bausteine abbauen. Solche Kunststoffe umhüllen zum Beispiel Kunstfasern von wasser- oder winddichter Funktionskleidung. Nach jeder Wäsche finden sich Reste im Abwasser und schließlich in der Umwelt wieder.
Wertschöpfung mit Bakterien
„Einem möglichen Einsatz solcher Mikroorganismen kommt in Klärwerken eine besonders wichtige Bedeutung zu“, sagt Wierckx, „denn bislang reichen die Filter in den Anlagen nicht aus, um die künstlichen Stoffe, Fasern und Mikropartikel komplett aus dem Abwasser zu entfernen.“ Noch besser wäre es, wenn die Textilfasern direkt biologisch produziert und biologisch abbaubar wären.
„Das Projekt ist ein Paradebeispiel für völlig neuartige Wertschöpfungsketten, mit denen wir uns in Jülich beschäftigen.“
Prof. Michael Bott,
Leiter des Themenfelds „Systemische Mikrobiologie“ am IBG-1Darauf zielt ein neues Vorhaben, an dem die Jülicher Forschenden beteiligt sind. Im Projekt Glaukos, benannt nach einem griechischen Meeresgott, wollen sie biobasierte und biorecycelfähige Textilfasern entwickeln, die sich sowohl für Fischernetze als auch für Bekleidung eignen. Denn nicht nur der Abrieb von Funktionskleidung landet im Wasser und schließlich im Meer, sondern auch Fischernetze aus Kunstfasern. Solche Fasern und Netze machen immerhin 27 Prozent des Plastikabfalls in europäischen Gewässern aus.
Die neuartigen Netze und Textilien schonen die Umwelt zweifach: Sie verbrauchen keine fossilen Rohstoffe und verrotten auf natürliche Weise, ohne dabei Mikroplastik freizusetzen. „Das Projekt ist ein Paradebeispiel für völlig neuartige Wertschöpfungsketten, die nur mithilfe der Mikrobiologie möglich sind und mit denen wir uns in Jülich beschäftigen“, fasst Institutsdirektor Prof. Michael Bott zusammen.
Brigitte Stahl-Busse
Multitalent Mikroorganismus
Bier brauen, Brot backen, Käse, Joghurt oder Kimchi herstellen, Medikamente und Pflanzenschutzmittel liefern, Verdauung anschieben – Mikroorganismen sind allgegenwärtige Helfer in uns und um uns herum. Ja, einige machen krank, andere hingegen helfen uns gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden. Bakterien, Mikroalgen und Hefen kommt darüber hinaus eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, unsere Erde zu heilen: weg von fossilen Raubzügen und brutaler Ausbeutung der Natur, hin zu einer biobasierten Kreislaufwirtschaft. Um das ganze Potenzial der Natur auszuschöpfen, ohne sie zu schröpfen, geht kein Weg an den winzigen Tausendsassas vorbei. Denn ihre Fähigkeiten, selbst hartnäckigste Stoffe – vom massiven Holzstamm bis hin zu Plastikflaschen oder Ölresten – zu zersetzen und in Energie oder wiederverwertbare Rohstoffe umzuwandeln, sind Dreh- und Angelpunkt einer umweltschonenden Wirtschaft.
Kleine Baumeister
Enzyme sind komplexe Eiweiße. Sie bauen in lebenden Organismen Moleküle wie Nähr- oder Schadstoffe auf, ab oder um, ohne selbst dabei verbraucht oder verändert zu werden. In der Regel ist es eine vielschichtige Kaskade von Enzymreaktionen, die einen Stoffwechselprozess erfolgreich ablaufen lässt. Deshalb macht sich die Biotechnologie bei komplizierten Prozessen – wie dem Ab- und Umbau von Plastik – Bakterien zunutze, die natürlicherweise oder per Gentransfer über die gewünschten Enzymkaskaden verfügen. Der Prozess läuft dann in der Regel im Inneren der Bakterien ab. Bei einfachen Prozessen genügen manchmal auch einzelne, isolierte Enzyme, etwa beim Wäschewaschen. Die Enzyme sind im Waschpulver enthalten und helfen, Flecken schon bei niedrigen Temperaturen zu entfernen.
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