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Titelthema
Leinen los für das Quanten-Flaggschiff!
Mitte 2017 ist es vom Stapel gelaufen: Das dritte Forschungs-Flaggschiff der Europäischen Kommission. Ausgestattet mit einer Milliarde Euro Fördergeldern für zehn Jahre soll es die Entwicklung der Quantentechnologien in Europa vorantreiben. Zusätzlich fördert die Bundesregierung die Entwicklung der Quantentechnologien in Deutschland mit 650 Millionen Euro bis 2021. „In der EU verfügen wir über eine hohe wissenschaftliche Exzellenz in der Quantentechnologie. Das Flaggschiff soll helfen, dass wir zusammen mit der Industrie dieses Potenzial in kommerzielle Produkte überführen. Sonst laufen wir Gefahr, dass Erkenntnisse, die in Europa initiiert worden sind, außerhalb des Kontinents zu marktreifen Anwendungen weiterentwickelt werden“, erklärt der Physiker Tommaso Calarco, der im September 2018 von der Universität Ulm nach Jülich an das Peter Grünberg Institut (PGI-8) gewechselt ist. Er gehört zu den geistigen Vätern des Quanten-Manifestes, eines zwanzigseitigen Thesenpapiers, das das neue Flaggschiff angestoßen hat.
„Hier werden nicht nur neue Theorien und Ideen geboren. Die Ansätze können durch die umfangreiche Infrastruktur auch experimentell überprüft werden.“
Tommaso Calarco
Das Programm soll Technologien vorantreiben, die einzelne Atome, Elektronen oder Photonen manipulieren. In der ersten Runde werden seit Oktober 2018 zwanzig Projekte gefördert. Die Konstruktion eines Quantencomputers sei dabei der „Heilige Gral“ dieser Forschung, erklärt Calarco: „Doch daneben sehe ich weitere Missionen von großer gesellschaftlicher Relevanz, etwa die Sicherung der europäischen Kommunikationsnetzwerke durch Quantenkryptografie.“ Dahinter verbirgt sich der abhörsichere Austausch von Nachrichten, bei dem der geheime Schlüssel in Form von Quanteninformationen übertragen wird. Ein Lauscher würde die Quanteneigenschaften stören und sich so selbst verraten. Darüber hinaus sollen hochpräzise Navigationsgeräte und empfindliche Sensoren für die medizinische Diagnostik entwickelt werden. Jülich ist in drei der zwanzig Projekte eingebunden. Unter anderem soll dort im Rahmen des Projekts OpenSuperQ ein Quantencomputer auf der Basis von supraleitenden Schaltkreisen entstehen – der erste dieser Art in Europa. Das Besondere: Hardware- und Softwarearchitektur werden offengelegt und zugänglich sein, sodass die gesamte Forschungsgemeinschaft an seiner Entwicklung teilhaben und den Rechner nutzen kann. Das Forschungszentrum spiele dabei eine Schlüsselrolle, sagt Calarco. Überzeugend sei die Vielfalt der Expertise entlang der quantentechnologischen Entwicklungskette: „Hier werden nicht nur neue Theorien und Ideen geboren. Die Ansätze können durch die umfangreiche Infrastruktur auch experimentell überprüft werden.“
Ein Quantensprung für die Quantentechnologie
Im Oktober 2018 ist das Quantentechnologie-Flaggschiff der Europäischen Kommission vom Stapel gelaufen. Das Forschungsprogramm soll mit Fördergeldern im Umfang von einer Milliarde Euro über zehn Jahre hinweg die Entwicklung von Produkten fördern, die auf den Regeln der exotischen Quantenwelt beruhen. Zusätzlich wird die Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode rund 650 Millionen Euro beisteuern. Zu den geistigen Vätern hinter der Initiative gehört Prof. Tommaso Calarco vom Jülicher Peter Grünberg Institut. Zusammen mit zwei Kollegen hatte er im Frühjahr 2016 das „Quantenmanifest“ veröffentlicht. Rund 3.400 Vertreter aus Wissenschaft und Industrie unterzeichneten das zwanzigseitige Papier, das eine europäische Initiative für die Quantentechnologien der nächsten Generation forderte. Die effzett hat mit dem Physiker über die inhaltliche Ausrichtung der ersten Förderrunde des Flaggschiff-Programms gesprochen.
Das europäische Flaggschiff-Programm soll dabei helfen, „Quantentechnologien der zweiten Generation“ zu entwickeln. Was ist darunter zu verstehen?
Viele Anwendungen und Produkte unseres täglichen Lebens beruhen heutzutage schon auf Effekten der Quantenmechanik. Ohne sie wären kein Transistor, kein Laser und kein Computerprozessor denkbar. Aber alle diese Technologien beruhen darauf, dass wir mit ihnen eine große Zahl von Atomen, Elektronen, Photonen oder anderen Teilchen nutzen. Die zweite Quantenrevolution, die sich gerade vollzieht, manipuliert einzelne Quantenobjekte. Zum Beispiel in der Kommunikation: Nachrichten werden heutzutage Bit für Bit mit Laserpulsen über Glasfaserleitungen übertragen. Diese Botschaften lassen sich abhören. Ich muss nur von dem Laserpuls ein paar wenige Photonen abzweigen. Wenn ich aber pro Bit nur ein einzelnes Photon, ein einzelnes Quant, sende, dann lässt sich das nicht weiter teilen. Ein Lauscher müsste das Photon selbst abfangen. Doch dabei würde er es verändern und sich damit selbst verraten. Kommunikation über einzelne Photonen bedeutet also ein höchstes Maß an Sicherheit für die Datenübertragung.
Als „Heiliger Gral“ der Quantentechnologie wird die Entwicklung eines Quantencomputers angesehen, der heutigen Superrechnern zumindest für einige Aufgaben deutlich überlegen ist. Ist das auch eines der Ziele im Quanten-Flaggschiff?
Oh ja, das Quantencomputing stellt eine der vier Säulen des Programms dar. Das ist sicher eine große, längerfristige Vision, aber eben auch eine ausgesprochen spannende Anwendung. Computer rechnen mit dem Bit als kleinster Informationseinheit. Teilchen, die in der Quantenwelt Informationen tragen, unterliegen nämlich nicht mehr den klassischen Gesetzen der makroskopischen Welt. Ihre Zustände können sich überlagern. Und daher können Bits in der Quantenwelt, sogenannte Qubits, auch jeden beliebigen Wert zwischen Null und Eins annehmen. Außerdem lassen sich zwei Teilchen miteinander verschränken. Sie sind dann wie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Albert Einstein nannte das einst die „spukhafte Fernwirkung“. Auf diesen Effekten beruht die außergewöhnliche Rechenkraft der Quantencomputer, die es ihnen zum Beispiel erlauben dürfte, das Standardverfahren zur Verschlüsselung von Daten im Internet auszuhebeln. Noch sind sie nicht so weit, aber bald schon dürften sie ihren Vorteil in dieser Hinsicht ausspielen können. Und das wäre dann ein Quantensprung der Rechenleistung im wahrsten Sinn des Wortes.
Sie haben erwähnt, dass das Quantentechnologie-Flaggschiff auf vier Säulen steht. Welche sind das noch?
Neben dem Quantencomputing und der sicheren und schnellen Kommunikation geht es noch um die Simulation von komplexen Materialien mit Hilfe vereinfachter Quantenmodelle. Das könnte zum Beispiel die Entwicklung neuartiger Materialien fördern. Und die vierte Säule bildet der Bereich der Sensorik und Metrologie. Dabei geht es zum Beispiel darum, hochgenau Messgeräte zu entwickeln, welche die Gehirnaktivität in Echtzeit aufzeichnen können. Das würde uns dabei helfen, neurologische Krankheiten besser zu verstehen und möglicherweise auch zu heilen. Außerdem könnten uns Quantentechnologien dabei helfen, unsere Navigationsgeräte zu verbessern. Wir navigieren heutzutage aufgrund von Satellitensignalen, deren Genauigkeit von Atomuhren abhängt. Wenn wir für diese Uhren einzelne, verschränkte Atome als Taktgeber nutzen, lässt sich ihre Präzision noch einmal deutlich verbessern. Ich wüsste dann ganz genau, wie weit mein Auto vom Straßenrand weg ist oder von anderen Autos. Das wäre enorm wichtig für autonomes Fahren. Also: auch jenseits des Quantencomputers verfolgen wir im Flaggschiff-Programm Ziele mit großer gesellschaftlicher Relevanz.
Aber bewegen wir uns heutzutage nicht eher noch im Bereich der Grundlagenforschung, wenn es um Quantentechnologien geht? Wie kann der Übergang zu industriellen Anwendungen gelingen?
Genau darum geht es ja im Flaggschiff-Programm. Auf der wissenschaftlichen Ebene haben wir in Europa eine Reife erreicht, die es uns ermöglicht, diese Erkenntnisse aus dem Forschungslabor in Produkte umzusetzen. Wir verfügen über eine hohe wissenschaftliche Exzellenz, aber bis vor kurzem noch nicht über die relevante Beteiligung der Industrie. Sodass wir das Risiko eingehen würden, dass die Erkenntnisse, die hier in Europa initiiert worden sind, woanders in Produkte und wirtschaftliches Wachstum umgewandelt würden. Wir waren uns bewusst, dass wir jetzt handeln müssen. Aufgrund der sehr großen Konkurrenz von privaten und öffentlichen Geldgebern außerhalb von Europa bestünde sonst die Gefahr, dass wir international abgehängt würden. Mit dem Flaggschiff-Programm haben wir nun aber den richtigen Kurs eingeschlagen. Die Grundlagenforschung wird weiterhin wichtig bleiben. Denn Wissenschaftler brauchen einen Freiraum, um Ideen nachzugehen einfach aufgrund ihrer Neugierde. Dann ergeben sich Erkenntnisse, die dann später zu Anwendungen führen. Die Grundlagenforschung bildet somit das Fundament für die vier thematischen Säulen.
Wo sehen Sie die großen Herausforderungen, die vor Ihnen liegen?
Jetzt haben wir einen sehr großen finanziellen Schub sowohl von der Europäischen Kommission als auch der Bundesregierung bekommen. Wir müssen uns nun bemühen, das Forschungsprogramm mit Leben zu füllen, die Innovationen auf den Markt zu bringen. Es geht dabei auch um Fragen der Robustheit. Ein hochgenauer Sensor darf nicht nur unter kontrollierten Laborbedingungen funktionieren, sondern auch als kleiner, preiswerter Chip auf meinem Handy. Dazu müssen sich Quantenforscher und Ingenieure zueinander hinbewegen, um benutzerfreundliche Produkte zu entwickeln. Daher müssen wir sicherstellen, dass auch die akademische Ausbildung angepasst wird: Wir brauchen Studiengänge für Quanteningenieure. Auch das wird einen wichtigen Teil des Quantenflaggschiffs darstellen.
Text und Interview: Arndt Reuning
© 2022 Forschungszentrum Jülich