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Forschung
Hirnforschung mit künstlicher Intelligenz
FORSCHUNG
Hirnforschung mit künstlicher Intelligenz
Simon Eickhoff will dem menschlichen Hirn Informationen über den künftigen Verlauf von psychischen und neurologischen Krankheiten entlocken.
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Jülicher Wissenschaftler zeigen, dass es möglich ist, aus Hirnscans Informationen über Persönlichkeitsmerkmale und psychische Erkrankungen zu gewinnen.
Unser Hirn ist hochkomplex. Bei allem, was wir tun, arbeiten verschiedene Hirnregionen zusammen – und zwar in sogenannten funktionellen Netzwerken. Mit diesen Netzwerken und deren Aktivitätsmustern beschäftigt sich Prof. Simon Eickhoff, Direktor am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7). Der Neurowissenschaftler hat ein großes Ziel: Er möchte beurteilen, inwieweit diese Muster bei Menschen verändert sind, die an Depressionen, Schizophrenie oder Morbus Parkinson erkrankt sind. Er hofft, dass sich aufgrund dieser Information der weitere Verlauf einer Krankheit individuell vorhersagen lässt.
Bild oben: Simon Eickhoff will dem menschlichen Hirn Informationen über den künftigen Verlauf von psychischen und neurologischen Krankheiten entlocken.
Mit seinem Team hat Eickhoff untersucht, wie sich mithilfe künstlicher Intelligenz Informationen aus Hirnscans gewinnen lassen. Dazu trainierten die Forscher eine selbstlernende Software, um Persönlichkeitsmerkmale von Menschen anhand von deren Gehirnscans vorherzusagen. Für drei von fünf Merkmalen lieferte das Programm vielversprechende Prognosen: für Offenheit, Verträglichkeit und emotionale Stabilität. Die Forscher stellten mithilfe der Software außerdem fest, dass bei Menschen mit Schizophrenie oder Parkinson bestimmte funktionelle Netzwerke im Hirn gestört sind. Die effzett hat mit Herrn Eickhoff gesprochen.
Inwiefern könnten Menschen mit psychischen oder neurologischen Krankheiten in Zukunft von Ihrer Forschung profitieren?
Nehmen wir die Depression: Bis zu 30 Prozent aller Menschen, die sich von einer schweren Depression erholt haben, erkranken später erneut. Für viele Patienten ist es sehr wichtig zu erfahren, ob sie wohl betroffen sein werden. Das kann ihnen aber derzeit kein Arzt seriös vorhersagen. Wir denken, dass unsere Methoden das Potenzial haben, eine individuelle Prognose zu geben, also die individuelle Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall.
Ein anderes Beispiel ist Morbus Parkinson. Viele Erkrankte wollen zum Beispiel wissen, ob sie in absehbarer Zukunft eine Demenz entwickeln werden – eine Frage, die auch Angehörige sehr interessiert. Auch hier sehe ich ein sehr wichtiges Anwendungsfeld für prognostische Verfahren.
Wie soll das gehen?
Die Idee lässt sich anhand zweier Patienten erläutern, deren aktueller Krankheitszustand äußerlich gleich ist, bei denen aber unsere Algorithmen auf Basis der Hirnscans auf Unterschiede hinweisen. Sie legen nahe, dass der Zustand des einen eigentlich besser sein müsste, der des anderen schlechter. Sie weisen also möglicherweise auf verschiedene Krankheitsverläufe hin, noch bevor die Symptome für den Arzt erkennbar sind. Solche Unterschiede bei den funktionellen Netzwerken könnten mittels neuer Verfahren des maschinellen Lernens aus MRT-Aufnahmen sichtbar gemacht werden. Im besten Fall könnten Ärzte daraus auf den weiteren Krankheitsverlauf schließen und entsprechend therapieren.
Betonen möchte ich: Noch sind wir sind weit von der klinischen Anwendung unserer Methoden entfernt. Aber insbesondere die Ansätze zur Netzwerkcharakterisierung und zur individuellen Vorhersage laufen schon sehr vielversprechend.
Aber es gibt doch sicher Depressive oder Parkinson-Kranke, die ihre Zukunft gar nicht kennen wollen …
Ja. Und ich bin ein Verfechter des Rechts auf Nichtwissen. Aber ich habe andererseits als Arzt erfahren, dass die Frage „Wie geht es weiter?“ für die meisten Patienten und Angehörigen die wichtigste und drängendste ist. Denn viele psychiatrische und neurologische Krankheiten verlaufen schubweise, so etwa die Schizophrenie, oder langsam fortschreitend, wie zum Beispiel Demenzen.
Könnten Ihre Ergebnisse künftig auch die Behandlung psychischer und neurologischer Krankheiten verändern?
Ich hoffe es sehr. Ein anderes Problem ist ja, dass nicht jedes Medikament bei jedem Patienten hilft, es profitiert zum Beispiel nicht jeder Depressive von jedem Antidepressivum. Ähnlich ist die Situation bei der Schizophrenie. Bei ausbleibendem Erfolg muss etwas Neues ausprobiert werden, was sehr unbefriedigend ist. Unser Ziel wäre es, Signaturen im Gehirn zu finden, die uns sagen: Diesen Patienten sollten wir am besten mit Medikament A behandeln und nicht mit Medikament B. Hier stehen wir aber noch am Anfang.
Sie nutzen für Ihren Ansatz Methoden des maschinellen Lernens. Es gibt Kritik und Sorgen angesichts des Einsatzes von künstlicher Intelligenz und dem möglichen Missbrauch von Patientendaten. Wie stehen Sie dazu?
Diese Befürchtungen sind auf jeden Fall ernst zu nehmen. US-amerikanische Versicherungsunternehmen überlegen zum Beispiel derzeit, Hirnscan-Daten auszuwerten. Sie wollen das Erkrankungsrisiko einzelner Menschen berechnen, und ich befürchte, dass sie damit Risikofälle vorausschauend ausschließen wollen. Oder man denke an das „Social Credit System“, das in China bereits erprobt wird: Der Staat bewertet das Verhalten der Bürger mithilfe künstlicher Intelligenz.
Die Konsequenz kann aber nicht sein, dass wir in Deutschland die Forschung an diesen Themen einstellen. Wir haben hier in Jülich die Chance, die Entwicklung im Gesundheitsbereich mitzuprägen und die Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologien transparent zu machen. Die Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft sind der Gesellschaft verpflichtet: Wir forschen nicht, um Gewinne zu maximieren, sondern um Antworten auf große gesellschaftliche Herausforderungen zu finden. Diese Chance sollten wir nutzen.
Interview: Frank Frick
Vom Hirnscan zur Prognose
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Funktionelle Netzwerke identifizieren
Was ist das?
Funktionelle Netzwerke bestehen aus verschiedenen Hirnregionen, die sich zusammenschließen, wenn wir komplexe Aufgaben erledigen. Beispielsweise wenn wir Gesichter erkennen oder uns etwas einprägen. Aus der individuellen Ausprägung solcher Netzwerke lassen sich sowohl Rückschlüsse auf psychische Erkrankungen als auch auf kognitive Leistungen oder Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen ziehen.Was haben die Jülicher Forscher gemacht?
Sie werteten mehrere Tausend Studien aus aller Welt aus, in denen die Gehirnaktivitäten von Testpersonen mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie untersucht wurden. Dadurch konnten die Jülicher Forscher funktionelle Netzwerke im Gehirn genau identifizieren – die Grundlage, um künftig Verbindungsmuster dieser Netzwerke individuell zu bestimmen und daraus Persönlichkeitsmerkmale oder Erkrankungen wie Parkinson und Schizophrenie vorherzusagen.2
Hirnscans mithilfe funktioneller MRT
Was ist das?
Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) erzeugt spezielle Bilder vom Gehirn. Diese machen Hirnregionen sichtbar, die im Moment der Aufnahme aktiv sind. Je nachdem, was wir machen – wenn wir etwa einen Arm bewegen oder einfach nur ruhig liegen – sind unterschiedliche Regionen aktiv.Was haben die Jülicher Forscher gemacht?
Sie werteten fMRT-Aufnahmen von Hunderten von Probanden aus, die während der Aufnahme ihren Gedanken freien Lauf ließen. Dabei bestimmten sie die Gehirnaktivitäten und Interaktionen in den vorher identifizierten funktionellen Netzwerken.3
Selbstlernende Software berechnet Prognosen
Was ist das?
Eine selbstlernende Software wird nicht auf die Lösung eines Problems hin programmiert, sondern mithilfe von Daten trainiert – zum Beispiel darauf, Muster in fMRT-Daten zu erkennen.Was haben die Jülicher Forscher gemacht?
Sie nutzten eine solche Software, um Aktivitätsmustern in den funktionellen Netzwerken bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zuzuordnen. Diese Merkmale stammten aus Persönlichkeitstests, die die Probanden vorher absolviert hatten. Die Forscher trainierten die Software an Datensätzen, bei denen Persönlichkeitsmerkmale oder Diagnose bekannt waren. Die Software passte daraufhin ihr mathematisches Modell an und konnte schließlich diese Merkmale auch bei neuen Personen vorhersagen.In einer weiteren Studie gelang es, aus fMRT-Aufnahmen zu ermitteln, ob ein Mensch an Schizophrenie oder Parkinson leidet oder psychisch gesund ist.
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