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Forschung
Frau Ohla schmeckt
FORSCHUNG
Frau Ohla schmeckt
Kathrin Ohla im Selbstversuch: Riechen und sehen beeinflussen den Geschmack.
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Lebkuchen, Zimtsterne, Spekulatius: An Weihnachten schmeckt dieses Gebäck viel leckerer als an einem milden Oktobernachmittag oder in der ersten Frühlingssonne. Warum eigentlich? Kathrin Ohla kann diese Frage beantworten. Sie untersucht den Geschmack – wie er von anderen Sinneseindrücken beeinflusst wird und was beim Schmecken im Gehirn geschieht.
Plätzchenteller beim Fototermin im Frühherbst? Das ist nicht jedermanns Sache. Auch Kathrin Ohla, Psychologin am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-3), ist hin- und hergerissen. 20 Grad Celsius Außentemperatur und ein neutrales Büro lassen nicht direkt Weihnachtsstimmung aufkommen. Die anderen Sinne sind einfach noch nicht auf Weihachten eingestellt – genau die sind beim Schmecken aber wichtig. „Der Geschmackssinn alleine würde uns wenig Freude bereiten“, sagt Kathrin Ohla. „Er kennt vereinfacht gesagt nur die Richtungen süß, sauer, bitter, salzig und umami, was aus dem Japanischen stammt und sich am ehesten mit herzhaft übersetzen lässt.“ Ein bestimmtes Nahrungsmittel ausschließlich über den Geschmackssinn zu erkennen, ist folglich nicht möglich. Beispiel Bier: Der Geschmack erkennt nur „bitter“ – ein fader Eindruck. Erst unsere anderen Sinne lassen Bier zu dem werden, was es ausmacht. Unsere Augen sehen die weiß schäumende Bierkrone, unsere Nase riecht den Hopfen, unser Mund spürt das Prickeln der Kohlensäure. Und eben diese anderen Sinne lassen Weihnachtsplätzchen bei Kerzenschein und dem Duft von Zimt, Glühwein und Tannenbaum besser schmecken als bei der Grillparty am Baggersee.
Bild oben: Kathrin Ohla im Selbstversuch: Riechen und sehen beeinflussen den Geschmack.
Ohla und ihr Team haben in einer Serie von Studien das Zusammenspiel verschiedener Sinne untersucht. Alle bestätigen: Vor allem Sehen und Riechen beeinflussen den Geschmack. So schmecken viele Menschen bei rosa eingefärbtem leicht gezuckertem Naturjoghurt Aromen von Erdbeere oder Waldfrucht, obwohl gar keine enthalten sind. Und Aromen wie Banane oder Vanille etwa können über ihren Duft den süßen Geschmack verstärken. Die Verknüpfung von Geruch und Geschmack ist besonders stark, denn während des Kauens werden Moleküle aus der Nahrung freigesetzt, die wir rückwärtig durch die Nase einatmen – also direkt vom Mund in die Nase. Daher verwechseln wir im Alltag auch oft Riechen und Schmecken miteinander.
Bereits Neugeborene haben Präferenzen, was den Geschmack angeht: „Gibt man ihnen einen Tropfen Zuckerwasser auf die Lippen, reagieren sie positiv, während sie bei einem Bitterstoff oder Zitronensaft das bekannte Zitronengesicht machen“, begeistert sich Kathrin Ohla. Diese angeborene Vorliebe beziehungsweise Abneigung ist lebensnotwendig. „So unterscheiden wir nahrhafte von schädlicher Nahrung“, weiß die Forscherin. „Bitter“ etwa ist ein potenzieller Hinweis darauf, dass etwas giftig sein könnte – schließlich schmecken die meisten Gifte bitter. Ein süßer Geschmack dagegen signalisiert, dass Kohlenhydrate und somit schnell verfügbare Energie in einem Lebensmittel stecken. Umami weist auf proteinreiche Nahrung und somit eine gute Energiequelle hin und wird ebenfalls von Geburt an bevorzugt. Ein saurer Geschmack dagegen hat eine ambivalente Funktion: Zum einen zeigt er an, dass wertvolles Vitamin C enthalten sein könnte, andererseits warnt er vor Verdorbenem, etwa saurer Milch. Ähnlich verhält es sich mit Salzigem. Zwar zeigt salziger Geschmack wichtige Elektrolyte an, zu viel Salz ist jedoch schädlich und wird daher abgelehnt. Die Dosis ist also entscheidend.
Nahrhaft oder ungenießbar?
Beim Geschmack geht es also häufig um die Frage: Nahrhaft oder ungenießbar? Weiteressen oder ausspucken? Aber wie schnell wissen wir das? Wie schnell verarbeitet unser Gehirn Informationen zum Geschmack und gibt sie dann zurück an unsere Zunge? Um diese Frage zu beantworten, hat Kathrin Ohla mit ihren Kollegen in einer Reihe von Studien die Hirnströme von Probanden mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) gemessen. Die Testpersonen kosteten bei den Untersuchungen verschiedene Proben und bearbeiteten gleichzeitig mehrere Aufgaben: Sie gaben zum Beispiel an, wann sie etwas schmecken, was sie schmecken und wie angenehm und intensiv der Geschmack war. Die Auswertung der Daten erfolgte anschließend mithilfe von maschinellem Lernen: Eine Software analysierte die Hirnstromdaten auf bestimmte Muster. Diese setzten die Forscher mit den Aussagen der Testpersonen in Beziehung. Damit trainierten sie den Computer, die subjektive Geschmackserfahrung den Gehirnströmen zuzuordnen. Sie konnten so anhand der Gehirnströme erkennen, wann die Geschmacksverarbeitung im Gehirn beginnt und wie sie mit dem Empfinden verknüpft ist.
Die wichtigste Erkenntnis: Geschmack wird viel schneller vom Gehirn verarbeitet als bisher angenommen. „Das erste messbare Signal ist der Auslöser für unser Verhalten auf den Geschmack, also ob etwas lecker ist oder vielleicht doch nicht so gut“, sagt Ohla. Das heißt, dass keine nachgeschalteten Verarbeitungsprozesse im Gehirn nötig sind. Etwa 175 Millisekunden dauert es, bis die Probanden merken, dass sie etwas schmecken. „Vor unseren Messungen gingen Forscher davon aus, dass das rund dreimal so lange dauert“, berichtet Ohla. Zum Vergleich: Einen ersten Seheindruck haben wir nach etwa 100 Millisekunden, Hören dauert etwa 80 Millisekunden. „Allerdings treffen die Geschmacksträger auch nicht direkt auf Rezeptoren, wie etwa das Licht auf die Netzhaut beim Sehen“, sagt Ohla. „Sie müssen erst den Speichel auf der Zunge durchdringen bis sie auf die Geschmacksknospen und die Rezeptoren darin gelangen. Schon allein das dauert grob geschätzt um die 50 Millisekunden.“
Außerdem zeigten die Forscher, dass es Unterschiede gibt, wie schnell wir bestimmte Geschmäcker wahrnehmen. Sauer und salzig schmecken wir schneller als süß und bitter – und auch das Gehirn entschlüsselt die Geschmäcker mit einem entsprechenden Zeitversatz. Bitter und süß können wir in dem Moment unterscheiden, indem wir sie auch schmecken. Anders ist es bei sauer und salzig: Die Studienteilnehmer merkten zwar etwas schneller, dass sie etwas schmecken, brauchten aber dann länger, um festzustellen, was es ist – und verwechselten die beiden Geschmacksrichtungen auch öfters. „Evolutionär macht es Sinn, dass wir bitter – und damit potenziell giftig – sofort und zuverlässig von süß, also nahrhaft, unterscheiden können“, sagt Kathrin Ohla. „Warum bei salzig und sauer aber mehr Zeit vergeht zwischen Wahrnehmen und Unterscheiden des Geschmacks, ist noch unklar. Das müssen wir noch näher untersuchen.“
Wir können also sehr schnell feststellen, dass die Salatsoße nicht schmeckt. Ob aber das Essig oder das Salz ausgerutscht ist, ist nicht immer sicher zu beurteilen. Zu viel Bittermandelaroma im Plätzchenteig ist dagegen eindeutig. Und auch wenn ihre Befunde beim Plätzchenbacken keine unmittelbare Rolle spielen, hat Kathrin Ohla für diesen Fall einen Tipp: Mit etwas Zucker lässt sich die Bitterkeit „maskieren“. Dann muss für den guten Geschmack nur noch die restliche Stimmung passen.
Janine van Ackeren
Dem Geschmack auf der Spur
Was macht eigentlich einen Feinschmecker aus? Und warum mögen viele Chinesen keine Käse, während er den Franzosen nicht intensiv genug sein kann? „Wir mögen grundsätzlich vor allem das, was wir kennen. Doch der Geschmack „lernt“ im Laufe der Zeit: Bitterstoffe in Form von Kaffee, Bier oder Chicorée können uns nach einiger Gewöhnung durchaus gut schmecken“, erklärt die Jülicher Psychologin Kathrin Ohla. Wir lernen also durch eigene Erfahrung und durch unsere Umwelt, was uns schmeckt, was uns gut tut und was uns schadet. Aber das Geschmacksempfinden bleibt nicht ein Leben lang konstant. Mit zunehmendem Alter lässt der Geschmackssinn nach. Das liegt vor allem daran, dass die Zahl der Geschmackssinneszellen auf der Zunge abnimmt. Das merken wir jedoch nicht, da uns beim Schmecken der Vergleich fehlt – anders als etwa beim Sehen: Können wir einen Text in der Tageszeitung nicht mehr entziffern, merken wir recht schnell, dass unsere Augen schlechter geworden sind.
Um wissenschaftlich zu überprüfen, wie gut jemand schmecken kann, waren bislang umfangreiche Tests notwendig. Probanden mussten über mehrere Stunden viele, unterschiedlich konzentrierte Geschmackproben verkosten. Das hat Kathrin Ohla mit einem neuen Testverfahren vereinfacht. „Ein flexibler Algorithmus berechnet aus den Antworten des Patienten, welche Probe als nächstes verwendet werden soll. Das wiederholt sich, bis die Software die Geschmacksgrenze ermittelt hat. Die Zahl der Proben, die zur Ermittlung dieser Grenze notwendig sind, reduziert sich dadurch enorm. Entsprechend verkürzen sich Testdauer und Belastung. „Der Test liefert in wenigen Minuten ein zuverlässiges Ergebnis, was die Geschmackssensitivität eines Probanden angeht“, sagt Ohla. Der Algorithmus läuft sogar auf Smartphones und Tablets. „Dieser schnelle und einfache Test ist ideal für den Einsatz in der Klinik, etwa bei Patienten, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes keine lange Testverfahren absolvieren können oder in Kohortenstudien, wo sehr viele Personen getestet werden müssen“, so Ohla. „Da bekommen wir Anfragen von Kollegen weltweit.“
Sie möchte den Test auch für ihre Grundlagenforschung einsetzen, beispielsweise für die Frage, wo das Gehirn Informationen zum Geschmack verarbeitet. In einem Vorhaben dazu planen sie und ihr Team mit Schlaganfallpatienten zu arbeiten. Zunächst wird untersucht, zu welchen Schädigungen im Gehirn der Schlaganfall geführt hat. Danach absolvieren die Patienten den Geschmackstest – separat für jede Zungenseite, da die Nerven auch separat zum Gehirn führen. Selektive Beeinträchtigungen im Schmecken können dann zur individuellen Hirnschädigung in Beziehung gesetzt werden. Das ermöglicht einen Einblick in den Fluss der Geschmacksinformation von der Zunge durch verschiedene Stationen im Gehirn. „Wir hoffen so Bereiche im Gehirn ausfindig zu machen, die beim Schmecken essenziell beziehungsweise entbehrlich sind. Das ist bisher nicht genug verstanden“, so Ohla.
Janine van Ackeren
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