Wetterextreme wie Starkregen, Überflutungen, Hitzewellen, Dürren und die Intensität von Stürmen nehmen zu. Der Meeresspiegel steigt um bis zu 80 Zentimeter.
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Forschung
1,5-Grad-Ziel geht jeden an!
FORSCHUNG
1,5-Grad-Ziel geht jeden an!
Prof. Astrid Kiendler-Scharr, Institutsleiterin am Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-8), findet die Berichte des IPCC wichtig, weil sie das Wissen der weltweiten Forschungsgemeinschaft zum Klimageschehen bündeln. Sie selbst erforscht die Rolle von Aerosolen im Klimageschehen. Das sind kleinste Partikel, die zum Beispiel als Wolkenkeime dienen. An dem aktuellen IPCC-Bericht zum 1,5-Grad-Ziel war sie als Gutachterin beteiligt.
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Anfang Oktober veröffentlichte der Weltklimarat IPCC seinen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Klimaziel. Der Tenor: Es eilt! Um die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten, sind alle gefordert: Regierungen, Wirtschaft und Bürger. Klimaexpertin Prof. Astrid Kiendler-Scharr hat als Gutachterin am Bericht mitgearbeitet. Wir baten sie um ihre Einschätzung.
Im Pariser Klimaabkommen hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen. Ist das überhaupt noch möglich?
Der Bericht zeigt, dass es schwierig, aber durchaus möglich ist. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, brauchen wir einen starken Wechsel der Energietechnologie hin zu den erneuerbaren Energiequellen. Dass Kohle und andere fossile Energieträger für das Klima nicht zuträglich sind, ist – zumindest in Deutschland und der Mehrzahl der anderen Nationen – völlig unbestritten. Trotzdem ist die Dringlichkeit, mit der Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden müssten, der Politik und einer breiteren Öffentlichkeit noch nicht klar oder die notwendigen Schritte wurden bisher nicht umgesetzt.
Bild oben: Prof. Astrid Kiendler-Scharr, Institutsleiterin am Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-8), findet die Berichte des IPCC wichtig, weil sie das Wissen der weltweiten Forschungsgemeinschaft zum Klimageschehen bündeln. Sie selbst erforscht die Rolle von Aerosolen im Klimageschehen. Das sind kleinste Partikel, die zum Beispiel als Wolkenkeime dienen. An dem aktuellen IPCC-Bericht zum 1,5-Grad-Ziel war sie als Gutachterin beteiligt.
Welche Schritte wären das?
Alle Prozesse, die Treibhausgase ansteigen lassen, sollten möglichst minimiert werden. Das umfasst zum Beispiel die industrielle Produktion, die Landwirtschaft oder die Nutzviehhaltung. Ebenfalls wichtig: Wir brauchen ein neues Bewusstsein für unseren Lebensstil, basierend auf Wissen und Gewissen. Es reicht nicht, einmal im Leben einen Baum zu pflanzen. Wir müssen uns gut fühlen, wenn wir in allen Bereichen nachhaltig handeln. Politisch führt ein gangbarer Weg meist über Förderungen oder steuerliche Vergünstigungen: Radwege, öffentlicher Nahverkehr, Speicher für die erneuerbaren Energien – das sind Projekte, bei denen die Politik aktiv werden und Klimaschutz damit für jeden Einzelnen attraktiver machen kann.
Hat der Sonderbericht den Druck auf die Politik erhöht?
Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass der Bericht vonseiten der Politik angefordert wurde. Die Wissenschaft hat die Fakten vorgelegt und die Konsequenzen aufgezeigt. Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Forschung, Politik zu betreiben. Und das ist auch gut so. Nicht die Wissenschaft, sondern die Politik muss nun entscheiden, wie entsprechende Lösungen herbeigeführt werden können. Auf jeden Fall hat der Bericht das Thema Klimawandel wieder aktueller gemacht.
Sehen Sie auch schon Konsequenzen in der Politik?
Das wird sich in den nächsten Monaten zeigen müssen. Die Entscheidung der EU-Umweltminister, die Grenzwerte für den Kohlendioxid-Ausstoß von Neuwagen um 35 Prozent zu senken und nicht bei 30 Prozent zu belassen, könnte ein Hinweis sein. Um ambitionierte Klimaziele zu erreichen, sind aber zahlreiche Maßnahmen notwendig, wie der Bericht darlegt. Alle aktuellen Berechnungen zeigen zum Beispiel, dass wir CO2 aktiv aus der Atmosphäre herausnehmen müssen, um eine Temperaturerhöhung von über 1,5 Grad zu vermeiden.
Was wäre, wenn …?
Weltweiter Temperaturanstieg und seine Folgen im Jahr 2100
Es kommt noch häufiger zu Wetterextremen. Die Arktis ist im Sommer eisfrei. Der Meeresspiegel steigt um bis zu 90 Zentimeter. Forscher befürchten einen Kipppunkt. Dieser führt zum Abschmelzen der Eisschilder Grönlands und der West-Antarktis. Dadurch würde der Meeresspiegel im Lauf der folgenden Jahrhunderte um mehrere Meter steigen.
Die weltweite Wasserverteilung verschiebt sich drastisch. Ohnehin trockene Regionen werden noch trockener, besonders dürregefährdet sind das südliche Afrika, der Südwesten der USA und die Mittelmeerregion. Auf der Hälfte der Erdoberfläche nimmt die Häufigkeit von extremen Fluten zu. Der Meeresspiegel steigt um bis zu einem Meter.
Der Meeresspiegel steigt örtlich um bis zu zwei Meter. Große Gebiete in Küstennähe sind überflutet, Millionenstädten wie Miami in den USA oder Guangzhou in China droht zumindest eine Teilevakuierung. Alle Eisschilde schmelzen, der weitere massive Anstieg des Meeresspiegels beginnt.
Quellen: IPCC-Berichte, 4-Grad-Bericht der Weltbank, Aufsätze in Fachzeitschriften wie Nature und PNAS u. a.
Da sich die wissenschaftlichen Einschätzungen etwa zur Stabilität der Eisschilde bei den verschiedenen Temperaturszenarien unterscheiden, schwanken die Angaben zum Anstieg des Meeresspiegels.
Wieso das?
CO2 gehört zu den langlebigen Treibhausgasen. Es dauert über hundert Jahre, bis es abgebaut wird. Durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe seit Beginn der Industrialisierung gelangte jedoch weit mehr CO2 in die Atmosphäre, als die Erde im gleichen Zeitraum wieder hätte aufnehmen können. Selbst wenn man heute die CO2-Emissionen auf null fahren würde, würden natürliche Senken wie Wälder und Ozeane bei Weitem nicht ausreichen, um den CO2-Anteil in wenigen Jahrzehnten deutlich zu reduzieren. Das gelänge nur, wenn man es zusätzlich aktiv aus der Atmosphäre entfernt. Anders sieht es da mit den kurzlebigen Spurengasen und Luftschadstoffen aus.
Welche Rolle spielen diese kurzlebigen Stoffe im Klimageschehen?
Kurzlebige Klimatreiber, das sind zum Beispiel atmosphärisches Ozon, Methan oder Aerosole, also Schwebeteilchen. Sie haben eine klar begrenzte Aufenthaltszeit in der Atmosphäre. Wenn man das 1,5- oder 2-Grad-Ziel erreichen möchte, muss man sich massiv diesen kurzlebigen Stoffen zuwenden. Bodennahes Ozon etwa wird durch anthropogene Luftschadstoffe gebildet. Es ist nicht nur schädlich für Mensch und Umwelt, sondern auch ein starkes Treibhausgas. Maßnahmen zur Luftqualitätsverbesserung haben hier also einen direkten Effekt auf das Klima.
Gelten Aerosole nicht als kühlend für das Klima?
Ja und nein. Bei Aerosolen ist die Sachlage kompliziert. Die Gesamtheit aller Aerosole führt netto zu einer Kühlung, manche Aerosoltypen wie etwa Ruß können aber auch wärmend wirken. Gleichzeitig wirken sie als Wolkenkeime. Wolken wiederum haben je nach Zusammensetzung, Tageszeit und Höhenlage einen kühlenden oder wärmenden Effekt. Wenn wir diese komplexen Zusammenhänge besser verstehen, gibt es die Chance, in naher Zukunft Erfolge im Klimageschehen zu erzielen. Dieses Wissen könnte in der Übergangsphase nutzen, bis die Reduktion von CO2 weiter fortgeschritten ist.
Das Einhalten der Ziele bei der CO2-Reduktion schien bisher nicht so richtig zu funktionieren. Ist das 1,5-Grad-Ziel besser geeignet, um einen effektiven Klimaschutz zu erwirken?
Sich ein Temperaturziel zu setzen, ist in jedem Fall ein Paradigmenwechsel, der erstmals beim Klimaabkommen von Paris vereinbart wurde. Zuvor wurde die Klimafrage von der Emissionsseite her diskutiert: Welche Konzentrationen von welchen Treibhausgasen darf man noch emittieren, bis ein bestimmtes Limit überschritten ist? Diese Klimaziele und deren Umsetzung waren aber offensichtlich keine Erfolgsstory. Bis 2020 sollen zum Beispiel die Emissionen in Deutschland um 40 Prozent sinken gegenüber den Werten von 1990. Dies wird jetzt, 2018, schwierig zu erreichen sein. Es bleibt abzuwarten, ob das Temperaturziel tatsächlich dazu führt, verpflichtende Maßnahmen zu ergreifen, oder ob es als Ausrede benutzt wird, sich nicht auf unpopuläre konkrete Emissionsziele festlegen zu müssen.
Und wie wirkt sich der Paradigmenwechsel auf die Forschung aus?
Es gibt eindeutig eine gesteigerte Erwartungshaltung gegenüber der Wissenschaft. Sie muss nun klare Aussagen treffen, welche atmosphärische Zusammensetzung, welche Treibhausgas- und Luftschadstoffkonzentrationen mit welcher Temperaturerhöhung verbunden sind. Dadurch fällt mehr Aufmerksamkeit auf Details, wie zum Beispiel die Auswirkungen von langlebigen Treibhausgasen und kurzlebigen Klimatreibern. Es steht daher nicht nur viel Arbeit für die Politik an, sondern auch für die Wissenschaft.
Interview: BRIGITTE STAHL-BUSSE
Das Kimaabkommen von Paris
Im Pariser Klimaabkommen von 2015 hatten 196 Staaten beschlossen, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis 2100 auf „deutlich unter 2 Grad“ zu begrenzen, wenn möglich jedoch sogar auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau. Dadurch sollen die Risiken und Auswirkungen des Klimawandels entscheidend reduziert werden. Die UN beauftragte den Weltklimarat IPCC mit einer Studie, ob und wie dieses Ziel zu erreichen ist. Seit 8. Oktober 2018 liegt dieser Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel nun vor.
Treibhausgase …
Anteile an den 909 Millionen Tonnen Gesamtemissionen 2016 in Deutschland in CO2-Äquivalenten *
* CO2-Äquivalent beschreibt das Treibhauspotenzial eines Gases im Vergleich zur entsprechenden Menge CO2.
** Wasserstoffhaltige Fluorchlorkohlenwasserstoffe, perfluorierte Kohlenwasserstoffe, Schwefelhexafluorid.Quelle: Umweltbundesamt
… und wie wirksam sie sind
Wirksamkeit und Lebensdauer im Vergleich
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