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Erfolgsmodell Netzwerk
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Exzellente Hirnforschung braucht Austausch – davon ist Katrin Amunts, wissenschaftliche Leiterin des europäischen Human Brain Projects, überzeugt.
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Anstöße geben, neue Wege gehen, Kritik ernst nehmen – für die Neurowissenschaftlerin Katrin Amunts ist das die Basis, um die Forschung voranzubringen. Ebenso unentbehrlich für sie: der Austausch mit anderen. In ihrem aktuellen Vorhaben geht sie dafür neue Wege.
Sie zählt zu den international wichtigsten Vertreter:innen der interdisziplinären Hirnforschung: Prof. Katrin Amunts, Direktorin des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1) am Forschungszentrum Jülich sowie des Cécile und Oskar Vogt Instituts für Hirnforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Weltweit nutzen Expertinnen und Experten aus Forschung und Medizin ihre Erkenntnisse im Bereich des Brain Mappings“, unterstrich die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse an Katrin Amunts im März 2022.
Bild oben: Exzellente Hirnforschung braucht Austausch – davon ist Katrin Amunts, wissenschaftliche Leiterin des europäischen Human Brain Projects, überzeugt.
Nur wenige Wochen zuvor wurde Katrin Amunts der Hector Wissenschaftspreis verliehen: „Diese Anerkennungen geben Zuversicht und stärken den Rücken, um weiterzumachen. Aber ich sehe die Auszeichnungen vor allem als Verdienst der beteiligten Teams. Und das meine ich ganz ernst, denn solch einen Atlas kann man nicht alleine machen“, betont die gebürtige Potsdamerin.
Ruhm und Ehre stehen bei Katrin Amunts ohnehin nicht im Vordergrund, ihr Motor ist der Wunsch, exzellente Wissenschaft zu betreiben. Sie will mit ihrer Forschung einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag erfüllen: nämlich dazu beitragen, das Hirn mit seinen 86 Milliarden Neuronen und Billionen von Kontaktpunkten besser zu verstehen. Dieses Wissen soll helfen, beispielsweise den Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer besser vorherzusagen oder sie gar zu heilen.
Gerade erst hat sie mit ihrem Kollegen Prof. Markus Axer vom INM-1 ein gemeinsames Paper zur Konnektivität im Gehirn in einer Spezialausgabe der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht. Das Magazin ist zur Neuroscience 2022 im November erschienen, einer Tagung in San Diego, USA, bei der sich jedes Jahr rund 150.000 Neurowissenschaftler:innen treffen, um die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen zu diskutieren.
„Wir erläutern in ,Science‘, wie unser Gehirn vernetzt ist, angefangen von den Kontaktstellen einzelner Nervenzellen bis hin zu Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnregionen – und welcher Methoden es bedarf, um diese verschachtelte Organisation zu verstehen“, erklärt Katrin Amunts.
Wichtige Daten liefert dabei eine einzigartige Methode, die das Team in Jülich entwickelt hat: dreidimensionales Polarized Light Imaging (PLI). Damit lassen sich die länglichen Fortsätze von Nervenzellen, die sogenannten Axone, in hoher Auflösung visualisieren und untersuchen. Die Information über deren Verlauf fehlte bislang, ist aber entscheidend für die Verschaltung im Netzwerk. PLI ist Teil der digitalen Forschungsinfrastruktur EBRAINS, die im Human Brain Project (HBP) entstanden ist. EBRAINS vereint Daten und Werkzeuge zur Analyse und Simulation des Gehirns und bietet Forschenden weltweit freien Zugriff darauf.
Blick ins Hirn: Aufnahme mit dreidimensionalem Polarized Light Imaging (3D-PLI). Mit der Methode lassen sich die länglichen Fortsätze von Nervenzellen, die sogenannten Axone, in hoher Auflösung visualisieren und untersuchen. „Wer Kritik nicht ernst nimmt, begibt sich auf den falschen Weg.“
Katrin Amunts
„Diese Datenfülle und die entwickelten Methoden waren auch für den Science-Beitrag wichtige Grundlage, was einmal mehr belegt, dass das HBP international exzellente Wissenschaft ermöglicht“, betont Amunts. In 2023 läuft dessen EU-Förderung aus. Was bleibt: „Das HBP hinterlässt nicht nur wichtige Erkenntnisse und mit EBRAINS eine öffentlich zugängliche Infrastruktur, sondern auch eine Community, die in dieser Weise sonst nicht zusammengefunden hätte.“
Und noch ein großes Verdienst komme dem HBP zu. Es habe entscheidend dazu beigetragen, Supercomputing und Neurowissenschaften zusammenzubringen, und damit neue technische Voraussetzungen geschaffen, das Gehirn besser zu verstehen. Das sei außerdem ein wichtiger Impuls für den Aufbau des europäischen Supercomputing-Netzwerks FENIX gewesen, das eine Reihe von Daten- und Rechendiensten anbietet und die IT-Basis von EBRAINS ist. „Das sind Entwicklungen, die vor allem wir Neurowissenschaftler:innen vorangetrieben haben. Wir sind stolz darauf, den Anstoß gegeben zu haben“, resümiert die Wissenschaftlerin.
Durch FENIX soll den Hirnforschenden sogar die Nutzung des neuen Jülicher Exascale-Computers möglich werden. Gemeinsam mit JSC-Direktor Thomas Lippert hatte Amunts ebenfalls in einem ,Science‘-Paper bereits vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass die Forschung am Gehirn diese Rechenpower brauchen wird.
Anstöße geben und neue Wege gehen, aber auch konstruktiv mit Kritik umgehen – für Katrin Amunts ist das wissenschaftlicher Alltag: „Wer Kritik nicht ernst nimmt, begibt sich auf den falschen Weg.“ Amunts ist es deshalb wichtig, regelmäßig einen Schritt zurückzutreten und eine Fragestellung unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Dabei ist der Austausch mit ihrem Team unentbehrlich – sowohl in Jülich, Düsseldorf als auch international im HBP.
Einen völlig neuen Weg in Sachen Austausch hat Amunts als Erstautorin eines sogenannten Living Papers eingeschlagen, ein offenes und öffentliches Paper, an dem sich nicht nur das eigene Team, sondern die gesamte Hirnforschungs-Community beteiligen kann: „Wir hatten im HBP überlegt, was die kommenden Herausforderungen in der Hirnforschung sind – und wollten diese Frage nicht nur innerhalb des HBP diskutieren, sondern international. Und da kam die Idee des Living Papers auf“, erzählt Amunts.
Seit März 2022 sind Forscherinnen und Forscher weltweit eingeladen, das auf der Open-Access-Plattform Zenodo veröffentlichte Positionspapier zu ergänzen oder zu kommentieren. „Jeder kann es lesen, jeder kann sagen, was vielleicht noch fehlt“, so Amunts. Die Rückmeldungen sind manchmal nur ein paar Zeilen lang, dann wieder fünf Seiten. Die ursprüngliche Autorenzahl ist von etwa einem Dutzend auf über 70 angestiegen. Amunts bisheriges Fazit: „Das Living Paper ist ein offener Prozess – inklusive Diskussionen. Das ist nicht immer leicht, aber aus unserer Sicht der richtige Weg, um Offenheit und Transparenz zu erzeugen, um die Weichen für die Hirnforschung im kommenden Jahrzehnt zu stellen.“
Katja Lüers
© 2022 Forschungszentrum Jülich