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Titelthema
Stadt, Land, Region
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Braunkohlekraftwerk in Weisweiler
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Bis zum Jahr 2038 wird Deutschland endgültig aus der Braunkohle aussteigen. Im Rheinischen Revier droht dadurch ein Verlust an Arbeitsplätzen. Um die Wirtschaftskraft der Region zu erhalten, suchen Kommunen und Unternehmen nach Alternativen. Know-how aus Jülich hilft dabei, den Strukturwandel zu gestalten.
Sie prägt das Rheinische Revier seit über 200 Jahren: die Braunkohle. Tiefe Gruben des Tagebaus durchziehen die Landschaft im Dreieck zwischen Aachen, Düsseldorf und Köln. Die wenigen Hügel – wie etwa die Sophienhöhe bei Jülich – bestehen aus der ausgebaggerten und aufgeschütteten Erde aus dem Kohleabbau. Nicht nur die Landschaft ist geprägt vom Aufstieg des braunen Gesteins, sondern auch die Industrie in der Region mit Kraftwerken und Chemieanlagen.
Bild oben: Braunkohlekraftwerk in Weisweiler
Doch die gewachsenen Strukturen brechen nun auf. Der Ausstieg aus der Braunkohle bis spätestens 2038 ist beschlossene Sache. Und bis zum Jahr 2045 will Deutschland klimaneutral werden. Das Rheinische Revier steht damit vor einer gewaltigen ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderung: Zehntausende von Arbeitsplätzen könnten auf der Kippe stehen – wenn es nicht gelingt, den Strukturwandel in der Region sozialverträglich, ökonomisch und ökologisch zu gestalten.
Rheinisches Revier
Rekultivierungsflächen
aktive Tagebaue
genehmigte Abbaugrenzen
Kraftwerksstandorte
(Stand Juni 2021)
„Was die Region benötigt, ist eine Reindustrialisierung. Für die Arbeitsplätze, die wegfallen, müssen neue geschaffen werden – und zwar für verschiedenste Ausbildungsabschlüsse“, sagt Prof. Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums. Drei Voraussetzungen müssen aus seiner Sicht erfüllt werden: der Aufbau einer leistungsfähigen und modernen Infrastruktur, die Transformation der Industrie, um neue Geschäftsfelder zu erschließen, und die Ansiedlung von Unternehmen aus neuen, zukunftsträchtigen Branchen.
„Zu allen drei Punkten können wir als Forschungszentrum einen wichtigen Beitrag leisten. Vor allem können wir Impulsgeber sein, der mit Innovationen aus der Wissenschaft heraus hilft, eine neue Hightech-Industrie zu etablieren“, betont Wolfgang Marquardt. Ansätze gibt es einige: Mit Digitalisierung, CO2-neutralen Industrieprozessen und Produkten auf pflanzlicher Basis könnten zum Beispiel Industrie und Landwirtschaft neuen Schwung bekommen. Eine nachhaltige Wasserstoff-Infrastruktur könnte die Region national, aber auch international zu einem Leuchtturm machen. Künstliche Intelligenz und neue Computertechnologien wie Quantenrechner könnten neue Unternehmen entstehen lassen.
„Zusammen mit Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wollen wir dazu beitragen, dass der Wandel gelingt“, so Wolfgang Marquardt. Die Förderung durch den Bund und das Land ermöglicht bereits verschiedene Vorhaben. Anhand von einigen Beispielen wollen wir Ihnen zeigen, mit welchen Ideen an welchen Orten das Forschungszentrum den Strukturwandel im Rheinischen Revier unterstützt.
So ist die Braunkohle entstanden
Im Erdzeitalter des Miozäns vor 23 Millionen Jahren beginnt ein Millionen Jahre dauernder Prozess: die Entstehung der großen Braunkohlelagerstätten. In Mooren bilden sich im Laufe der Zeit rund 300 Meter dicke Schichten aus unvollständig zersetzten Pflanzenresten, der sogenannte Torf. Auf der Schicht lagern sich immer mehr Sedimente an. Unter dem Druck der Ablagerungen wird das Wasser aus dem Torf herausgepresst und die Pflanzenmasse wandelt sich zu Braunkohle um.
0Milliarden Tonnen
Braunkohle wurden im Rheinischen Revier zwischen 1930 und 2020 gefördert. Das sind rund ein Drittel der gesamten Produktion in Deutschland in diesem Zeitraum.
Braunkohlebagger im Tagebau Inden Von Wasserstoff bis Quantencomputing
Die Kohle geht, der Wasserstoff soll kommen – so sieht es die Wasserstoff-Road-map des Landes Nordrhein-Westfalen vor. Entsprechend spielt der Energieträger eine wichtige Rolle im Strukturwandel. Das Forschungszentrum bringt hier seine langjährige Expertise ein, von Erzeugung und Umwandlung bis hin zu wirtschaftlichen Aspekten des Wasserstoffs. Jülich ist auch als Standort für das aus Mitteln des Strukturwandels finanzierten Helmholtz-Cluster HC-H2 vorgesehen, das die gesamte wissenschaftliche Wertschöpfungskette von der Grundlagenforschung bis zur technischen Anwendung abdecken soll. Am HC-H2 werden vor allem Ansätze zur chemischen Wasserstoffstoff-Speicherung in flüssiger Form verfolgt, etwa in Methanol und anderen Alkoholen oder in Liquid Organic Hydrogen Carrier(LOHC)-Systemen. Durch die Nutzung flüssiger Wasserstoffträger können bestehende Infrastrukturen wie Tankstellen weiter verwendet werden. „Mit dem Cluster wollen wir das Rheinische Revier als Innovationsregion für Wasserstoff etablieren, in der neue Technologien erfunden, entwickelt und demonstriert werden, um sie dann in die Welt zu exportieren. Das wäre ein wichtiger Beitrag, um hier neue Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig die Energiewende erfolgreich zu meistern“, betont Prof. Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums. Neben dem Cluster sind noch weitere Jülicher Aktivitäten zum Strukturwandel in Vorbereitung: Im Vorhaben „Agency for Cognitive Computing“ (ACC) soll zum Beispiel die regionale Wirtschaft bei der bevorstehenden Digitalen Transformation unterstützt werden. Im geplanten „Center for Quantum Science and Engineering“ (CQSE) möchten das Forschungszentrum und das Fraunhofer ILT Aachen Unternehmen vor Ort befähigen, Quantentechnologien zu entwickeln und zu nutzen. Mit dem Ausbau des Ernst Ruska-Centrums für Elektronenmikroskopie „ER-C 2.0“ soll eine Plattform entstehen, um innovative Materialien zu charakterisieren und zu entwickeln.
Weitere Informationen
Broschüre „NEUES DENKEN, NEUE CHANCEN. Wie Forschung zum Strukturwandel beiträgt“ (Online-Broschüre)
Broschüre „NEUES DENKEN, NEUE CHANCEN. Wie Forschung zum Strukturwandel beiträgt“ (PDF)
Video-Serie zum StrukturwandelAufstieg und Fall der Braunkohle
- Als Alternative zum begehrten Brennholz wird nach dem Dreißigjährigen Krieg „Turff“, die Braunkohle, entdeckt
1738
In Kierdorf graben Bauern erstmals planmäßig nach Braunkohle1826
In der Nähe von Inden beginnt der Abbau eines 7,5 Meter mächtigen Flözes1877
Dampfbetriebene Entwässerungspumpen erschließen Gebiete bei Brühl für den Tagebau1895
Beginn des industriellen Braunkohleabbaus: In der Grube Donatus bei Liblar kommt erstmals ein Abraumbagger zum Einsatz1914
Das erste Kraftwerk in Weisweiler produziert Strom aus BraunkohleAb 1918
Steinkohle-Engpässe nach dem Ersten Weltkrieg erhöhen die Bedeutung der Braunkohle in DeutschlandAb 1927
Dank billiger Energie und der Braunkohle entstehen mehrere Chemie-Standorte1949
Der Ort Bottenbroich wird umgesiedelt, um Platz für den Tagebau bei Frechen zu machen. Weitere Umsiedlungen folgen1953–1972
Die Kraftwerke Weisweiler (Neubau 1953/55), Niederaußem (1963) und Neurath (1972) gehen ans Netz. Neurath ist heute das größte Kraftwerk in Deutschland1957
Erschließung des Tagebaus Inden1978
Erschließung des Tagebaus Hambach1983
Zusammenschluss mehrerer Abbaufelder zum Tagebau Garzweiler I, der ab 2006 um Garzweiler II erweitert wird1994
Rheinbraun und RWE Energie sowie die NRW-Landesregierung vereinbaren eine klimafreundliche Modernisierung der Braunkohlekraftwerke2005
Der Fluss Inde wird wegen des Tagebaus umgeleitet. Sein neues Bett, zwölf Kilometer lang, wird unter ökologischen Gesichtspunkten gestaltet2018
Teilweise gewaltsame Proteste gegen die Rodung weiterer Teile des Hambacher Forstes, die dem Tagebau weichen sollen2020
Deutschland beschließt den Kohleausstieg bis 2038. Die Kohleregionen im Rheinland und in Ostdeutschland erhalten Mittel für den Strukturwandel2021
Das Land NRW verkleinert die noch bestehenden drei Braunkohletagebaue
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