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Wissenschaft ist nicht
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Wissenschaft ist nicht
schwarz-weißSimon Eickhoff untersucht Organisation und Funktion des Gehirns mithilfe bildgebender Verfahren und künstlicher Intelligenz. Dazu interpretieren er und sein Team häufig große Datenmengen.
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Daten sind eine wichtige Grundlage, um Erkenntnisse zu gewinnen und Thesen zu überprüfen. Doch Datenanalyse und ihre Interpretation haben ihre Tücken – das zeigt sich auch bei der Erforschung von COVID-19.
Der Ausgangspunkt: Ein Datensatz und 70 Forschungsgruppen aus aller Welt, die diesen unabhängig voneinander mit etablierten wissenschaftlichen Methoden und nach bestem Wissen und Gewissen auswerten. Die Aufgabe: neun vordefinierte Hypothesen überprüfen und mit ja oder nein beantworten. Das Ergebnis: Bei sechs der neun Hypothesen wichen die Resultate der Gruppen zum Teil deutlich voneinander ab. „Das zeigt, dass trotz identischer Ausgangsdaten die Art der Analyse einen starken Einfluss auf das Ergebnis haben kann“, erklärt Prof. Simon Eickhoff, Direktor des Jülicher Instituts für Neurowissenschaften und Medizin (INM-7), der mit seinem Team an der Studie teilgenommen hatte.
Bild oben: Simon Eickhoff untersucht Organisation und Funktion des Gehirns mithilfe bildgebender Verfahren und künstlicher Intelligenz. Dazu interpretieren er und sein Team häufig große Datenmengen.
Bei der Auswertung der verschiedenen Datenanalysen stellte sich heraus, dass die Zwischenergebnisse zum Teil sehr ähnlich waren, aber anschließend unterschiedliche Analyseschritte zu einer anderen Gewichtung von Daten führten. „Gerade bei Ja-oder-Nein-Entscheidungen kann es daher zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das ist in den Neurowissenschaften nicht anders als in der Virologie oder der Epidemiologie“, betont Simon Eickhoff. Ihm ist es wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es in der Wissenschaft oft nicht das eine „richtige“ Vorgehen gibt. „Wissenschaft ist eben nicht schwarz oder weiß. Daher sind offene Daten und Transparenz bei solchen analytischen Entscheidungen ein ganz wichtiger Aspekt“, so der Neurowissenschaftler, „darüber hinaus brauchen wir aber auch eine bessere Kommunikation, die nicht nur die Ergebnisse verkündet, sondern diese auch einordnet.“
Das zeigt sich auch in der Corona-Pandemie, in der die Wissenschaft das neue Virus von Grund auf erforschen und den Wissensstand immer wieder an neue Erkenntnisse anpassen muss. Doch: „Wissenschaft findet in diesem Fall nicht in einer ,Black Box‘ statt, aus der – nach langen internen Diskussionen – eine unumstößliche Wahrheit hervorspringt“, sagt Prof. Hans Peter Peters, Experte für Wissenschaftskommunikation am INM-8 (siehe auch Interview nächste Seite). Die Öffentlichkeit sei sozusagen Zeuge von „science in the making“.
Und während Unsicherheiten und unterschiedliche Interpretationen von Daten in der Wissenschaft dazugehören, sorgen sie bei Politik und Öffentlichkeit mitunter für Irritationen. „Gerade in einer Krisensituation wie der Corona-Pandemie hat man es außerdem nicht in der Hand, wann eine interne Debatte innerhalb der Wissenschaft in die Öffentlichkeit gelangt. Hier liegt es in der Verantwortung der Journalisten, fundierte Schlussfolgerungen zu ziehen und die Sachverhalte einzuordnen“, hebt Hans Peter Peters hervor.
Brigitte Stahl-Busse
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