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Forschung
Einzelzimmer für Bakterien
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Einzelzimmer für Bakterien
Der Bakterientester: Mit dem von Dietrich Kohlheyer entwickelten Mikrofluidikchip lassen sich Wachstum und Produktivität einzelner Zellen überprüfen.
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Sie sind wichtige Helfer bei der Herstellung von Treibstoff und Medikamenten: die Bakterien. Doch bei ihrer Züchtung in Bioreaktoren sind manche Zellen fleißiger als andere. Mikrofluidikchips mit winzigen Kanälen und Kammern können dabei helfen, solche Unterschiede sichtbar zu machen.
Ob beim Bierbrauen, bei der Herstellung von Käse oder beim Fermentieren von Kohl: Menschen machen sich seit Jahrtausenden die Arbeit winziger Mikroorganismen zunutze. Heute sogar in großen Fabriken: Bakterien, Hefen und andere Pilze leisten in der industriellen Biotechnologie wichtige Dienste. Die kleinen Helfer produzieren Vitamine, Eiweißbausteine, Treibstoffe, Waschmittel und pharmazeutische Wirkstoffe, wie etwa Insulin oder Antibiotika.
„Die Mikroorganismen werden dafür in Bioreaktoren gezüchtet“, erklärt Prof. Dietrich Kohlheyer vom Institut für Biotechnologie (IBG-1). „Das sind gewaltige Gefäße, die etliche Kubikmeter Nährlösung fassen.“ Allerdings: Nicht immer gelingt es den Fachleuten, ein neues Verfahren aus dem Labor in den industriellen Maßstab zu übertragen. Denn die Fähigkeiten der Mikroorganismen werden zunächst im kleinen Maßstab im Labor getestet und optimiert. Im großen Bioreaktor verhalten sich die Pilze und Bakterien manchmal aber ganz anders als im kleinen Volumen des Erlenmeyerkolbens. Dann kann es vorkommen, dass die Ausbeute der Zielsubstanz hinter den Erwartungen zurückbleibt.
Bild oben: Der Bakterientester: Mit dem von Dietrich Kohlheyer entwickelten Mikrofluidikchip lassen sich Wachstum und Produktivität einzelner Zellen überprüfen.
Der Mechatronik-Ingenieur Dietrich Kohlheyer leitet die Helmholtz-Nachwuchsgruppe „Microscale Bioengineering“.
Dietrich Kohlheyer will die Ursachen dafür herausfinden, um biotechnologische Prozesse zu verbessern und damit die Ausbeute zu steigern. Immer mehr setze sich die Erkenntnis durch, sagt er, dass sich Mikroorganismen nicht unbedingt so gleichförmig verhalten, wie Lehrbücher es beschreiben. Beispielsweise betrachtet seine Arbeitsgruppe Bakterien, die genetisch vollkommen identisch sind. „Man sollte annehmen, dass sie dann auch ähnlich gut arbeiten. Das ist aber nicht der Fall: Es gibt unter ihnen hervorragende und eher schlechte Produzenten“, so Kohlheyer. „Wachsen die schlechten Produzenten zudem besser, sinkt die Effizienz im Bioreaktor.“
Hinzu kommt: In einem großen Reaktionsgefäß treffen die Winzlinge nicht überall auf dieselben Bedingungen. Auch wenn die Flüssigkeit im Inneren ständig gut durchmischt wird, können Zonen entstehen, die sich voneinander unterscheiden – sei es im Nährstoffgehalt, im pH-Wert oder in der Verfügbarkeit von Sauerstoff. Manche der Mikroorganismen reagieren auf diese lokalen Schwankungen, indem sie ihren Stoffwechsel herunterfahren und damit weniger von der gewünschten Substanz produzieren.
„Wir möchten möglichst exakt beobachten, wie sich die Zellen unter den verschiedenen Bedingungen verhalten: Wann gedeihen sie besonders gut? Was passiert, wenn man sie unter Stress setzt?“, erläutert Dietrich Kohlheyer. Dazu hat der Mechatronik-Ingenieur besondere Bauteile entwickelt, mit denen er einzelne Zellen ganz genau unter die Lupe nehmen kann, sogenannte Mikrofluidikchips. Sie sind etwa so groß wie ein Daumennagel und bestehen aus einem transparenten Stück Silikongummi. Durch ihr Inneres ziehen sich vier hauchfeine Kanäle. Links und rechts von jedem Kanal öffnen sich unzählige kleine Kammern, die gerade mal so hoch sind, dass die Mikroorganismen hineinpassen. Die sind typischerweise nur wenige Mikrometer groß, also rund zwanzigmal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares.
Müssen Mikrobiologen ihre Lehrbücher umschreiben? Ein Besuch bei Dietrich Kohlheyer
Schematische Darstellung der Kanäle und der Kammern in einem Mikrofluidchip. In grün: die Bakterien Durch die Kanäle können die zu untersuchenden Mikroorganismen in die Chips gespült werden. Im Idealfall gelangt nur eine einzelne Zelle in eine Kammer. Dort wird sie aber nicht lange allein bleiben. Denn Bakterien neigen dazu, sich zu teilen. Schon bald entsteht eine kleine Kolonie von Zellen. Ein Mikroskop rastert in regelmäßigen Zeitintervallen die Kammern ab und nimmt Bilder der Kolonien auf. Daraus lässt sich ein Film des Bakterienwachstums im Zeitraffer zusammensetzen.
Bei Bodenbakterien der Gattung Streptomyces konnte das Team aus Jülich zeigen, dass sich die Zellen reproduzierbar und stabil vermehren, wenn sich das Nährstoffangebot in den winzigen Kammern des Chips nicht allzu stark ändert. Diese Mikroorganismen sind wichtige Quellen und Produzenten von Antibiotika und Proteinen. Aber weil die fadenförmigen Zellen zu komplexen Geflechten heranwachsen, gelten sie unter Biotechnologen als schwer zu kultivieren. Kohlheyer: „Unsere Beobachtungen zeigen, dass es für diese industriell bedeutende Bakterienart besonders wichtig ist, die Bedingungen in einem Bioreaktor gut einzustellen um die komplexe Form der Zellgeflechte zu kontrollieren.“
Gesucht: fleißig und robust
Aber nicht nur das Wachstum von Bakterien können die Wissenschaftler mithilfe der Chips verfolgen, sondern auch den Stoffwechsel. Mikroorganismen der Gattung Corynebacterium stellen in Bioreaktoren Glutaminsäure und andere Eiweißbausteine her. Um die guten Produzenten zu erkennen, haben die Forscher deren Erbmaterial so verändert, dass die Bakterien einen fluoreszierenden Farbstoff produzieren, wenn sie bestimmte Stoffwechselvorgänge aktivieren. Unter UV-Licht lässt sich so leicht erkennen, welche Bakterien in der Kolonie gut arbeiten – und welche nicht. Und wie sich das Muster verändert, wenn sich zum Beispiel die Zufuhr an Nährstoffen ändert. Dietrich Kohlheyer: „Unser Ziel ist es, besonders robuste Stämme zu identifizieren, die auch unter schwankenden Bedingungen eine maximale Ausbeute liefern.“
Filigrane Architektur
Die Mikrofluidik-Chips stellt das Team am Institut für Biotechnologie selbst her. Die Pläne für die komplexe Architektur entstehen am Computer. Auf dieser Datenbasis wird dann eine Form aus Silizium angefertigt, ein dreidimensionales Negativ der mikroskopisch kleinen Kanäle und Kammern. „Das geschieht hier in Jülich in einem Reinraum, der Helmholtz Nanoelectronic Facility. Wir nutzen dafür Techniken, wie sie auch in der Halbleitertechnologie zum Einsatz kommen, um Siliziumchips für Computer herzustellen“, sagt Prof. Dietrich Kohlheyer. Diese Formen werden anschließend mit einer zähflüssigen Silikonmasse gefüllt, die dann durch Erwärmen zu einem gummiartigen Material vernetzt wird. Eine dünne Glasscheibe deckt das System der Kanäle und Kammern ab.
Unternehmen haben sich zwar anfangs skeptisch gezeigt, ob sich die Beobachtungen von den kleinen Zellverbünden in den Mikrofluidikchips auch auf die großen Reaktoren in der Industrie übertragen lassen – denn das Volumen eines Reaktors ist rund eine Billiarde mal größer. Doch mittlerweile sei das Interesse der Biotechnologen in den Firmen geweckt: „Wir konnten sehr schnell Ergebnisse vorlegen, die zeigen, wie stabil eine bestimmte Bakterienart unter verschiedenen Bedingungen wächst. Wohlgemerkt handelt es sich dabei noch um Grundlagenforschung. Im nächsten Schritt wollen wir unsere Erkenntnisse in der Industrie anwenden, um Bakterienstämme und Prozesse zu verbessern,“ sagt Kohlheyer.
Arndt Reuning
Bilder: Forschungszentrum Jülich/Kirsten Bräker, Audio: Forschungszentrum Jülich/Arndt Reuning, Video1: Forschungszentrum Jülich, Video2: N. Mustafi et. al., Application of a genetically encoded biosensor for live cell imaging of L-valine production in pyruvate dehydrogenase complex-deficient Corynebacterium glutamicum strains. Plos One 2014, DOI: 10.1371/journal.pone.0085731
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