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Forschung
Drahtige Synapse
Neuronale Netzwerke im menschlichen Gehirn sind herkömmlichen Computern in vielen Bereichen überlegen. Forscher haben ein elektronisches Bauteil entwickelt, das ähnlich wie die Synapse einer Nervenzelle funktioniert. Netze aus solchen Schaltelementen könnten in Zukunft vergleichbar effizient arbeiten wie das Gehirn.
Die Zahlen sind beeindruckend: Schätzungsweise 10.000 Milliarden sogenannte binäre Rechenoperationen pro Sekunde bei einem Energieverbrauch von gerade einmal 20 Watt schafft unser Gehirn. Computer verbrauchen im Vergleich deutlich mehr Energie – ein Standard-PC im Durchschnitt etwa 225 Watt – und sind dabei weitaus weniger effizient als das menschliche Gehirn. Kein Wunder, dass Forscher rund um den Globus die Arbeitsweise des „biologischen Rechners“ kopieren wollen.
Einer von ihnen ist Dr. Ilia Valov vom Peter Grünberg Institut (PGI-7). Gemeinsam mit Kollegen aus Aachen und Turin hat er ein neues elektronisches Miniaturbauteil entwickelt: Es kann Informationen verarbeiten und speichern sowie mehrere Signale parallel empfangen. Ein Netzwerk aus vielen solcher Einheiten auf einem Chip wäre ein sogenannter neuromorpher Prozessor, der ähnlich wie das Gehirn funktioniert.
Anpassungsfähiges Vorbild
Im Gehirn sind Nervenzellen, die Neuronen, zu einem riesigen Netzwerk verbunden – einem neuronalen Netz. Die Kontaktstellen der Neuronen bezeichnet man als Synapsen. „Diese leiten Signale weiter, verarbeiten und speichern Informationen“, erklärt Valov. Dabei können die Synapsen je nach Bedarf zum Beispiel ihre Größe oder ihre Effizienz anpassen – Experten bezeichnen diese Eigenschaft als synaptische Plastizität. Darauf basieren etwa die Fähigkeiten Lernen und Vergessen. Die Synapsen vereinen also mehrere Funktionen und sind wandlungsfähig.
Klassische elektronische Bauteile können das nicht. Sie sind entweder Speicher- oder Arbeitsmodul. Die beiden Modularten sind stets räumlich voneinander getrennt. Die Übertragung zwischen ihnen benötigt daher mehr Zeit und Energie als bei einem neuronalen Netz. Zudem ist die Computerhardware nicht anpassungsfähig. Sie verändert also nicht ihre Struktur entsprechend erledigter Aufgaben, um diese in Zukunft schneller zu verarbeiten. Bisher nutzen künstliche Intelligenzen (KI) in der Regel solche klassischen Prozessortechniken. Die dezentral organisierte und selbstlernende Arbeitsweise neuronaler Netze ahmen sie lediglich mittels ausgeklügelter Software nach. „Diese Vorgehensweise ist bezüglich des Energie- und Platzverbrauchs ziemlich ineffizient“, erklärt Valov. Besser wäre es, die Funktionsweise des Gehirns mithilfe eines Netzwerks aus künstlichen Synapsen zu simulieren.
Experte für elektrochemische Miniaturbauteile: Ilia Valov
Das Synapsen-ähnliche Bauteil des Jülicher Teams besteht aus einem etwa 10.000-stel Millimeter dünnen Draht aus Zinkoxid, der eine Elektrode aus Platin mit einer Elektrode aus Silber verbindet. Fließt Strom durch den Draht, ändert er seinen elektrischen Widerstand abhängig von Stärke und Richtung des Stroms. Das Besondere: Im Gegensatz zu herkömmlichen Transistoren bleibt nach Abschalten des Stroms der letzte Widerstandswert erhalten; auf diese Weise lassen sich Informationen speichern. Wird der Strom wieder angeschaltet, sorgt der geänderte Widerstandswert für einen anderen Stromdurchfluss. Die Bauteile ähneln in ihrem Verhalten also biologischen Synapsen: Sie verändern ihre Struktur aufgrund der Signale und leiten daher künftige Signale anders weiter.
Im Fachjargon heißen solche Bauteile Memristoren – zusammengesetzt aus dem englischen Wort „memory“ für Speicher und „resistor“ für elektrischen Widerstand. „Das Besondere an unserem Memristor ist, dass er verschiedene Funktionen wie Speichern, Lernen und Vergessen kombiniert“, erklärt Valov. Bisherige Memristoren konnten jeweils nur eine dieser Eigenschaften nachbilden.
Schnell und lernfähig
Um auch die Hardware gemäß dem biologischen Vorbild zu gestalten, müsste es gelingen, die neuen Bauteile zu einem funktionalen Netzwerk zu verbinden, das bestimmte Aufgaben erledigen kann. „Damit ließe sich etwa eine parallele Datenverarbeitung und Speicherung realisieren, was Berechnungen deutlich beschleunigt“, erklärt Valov. Und ähnlich wie das Gehirn könnte ein solcher neuromorpher Prozessor selbstständig lernen – also nach einer Trainingsphase bestimmte Aufgaben besser und schneller erledigen.
Die Forscher arbeiten bereits daran, einzelne künstliche Synapsen zu einem größeren Netzwerk zu verknüpfen. Valov betont jedoch, dass es noch eine ganze Weile dauern wird, bis mit Memristoren tatsächlich Prozessoren gebaut werden. Vorerst bleibt das Gehirn also noch einzigartig.
Janosch Deeg
Neuronale Synapse
Ein elektrisches Signal löst im Sender-Neuron mehrere Prozesse aus: Mit Botenstoffen gefüllte Bläschen, die Vesikel, verschmelzen mit der Membran der Synapse. Die Botenstoffe wandern in den synaptischen Spalt und docken dann an die Rezeptoren des Empfänger-Neurons an. Das ändert den elektrischen Widerstand dort und bewirkt, dass ein Signal weitergeleitet wird: So werden Informationen gespeichert und verarbeitet. Je öfter zwei Neuronen kommunizieren, desto ausgeprägter wird ihre Verbindung – etwa indem sie mehr Botenstoffe ausschütten oder die Rezeptordichte erhöhen. Das nennt man synaptische Plastizität.
Künstliche Synapse (Memristor)
Durch eine positive Spannung an der Silberelektrode (= Sender) beginnen Silberionen auf dem Nanodraht in Richtung der Platinelektrode (= Empfänger) zu wandern. Die Silberionen bilden hierbei eine leitende Brücke zwischen den Elektroden, was den Widerstand senkt. Eine negative Spannung hingegen erhöht den Widerstand. Durch wiederholte elektrische Impulse lässt sich der Widerstand gezielt steuern und die Silberionen bleiben nach Abschalten des Stroms auf dem Draht erhalten (Speichern) oder zerfallen wieder (Vergessen). So ahmt das Bauteil die Plastizität der neuronalen Synapse nach.
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