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Forschung
Wegbereiter einer neuen Computerära
Forschung
Wegbereiter einer neuen Computerära
Vorbild Gehirn: Neuromorphe Computer setzen auf eine Architektur, die so ähnlich funktioniert wie das Netz aus Nervenzellen in unserem Denkorgan. John Paul Strachan und Emre Neftci sind nach Jülich gekommen, um solche Rechner praxisreif zu machen.
Unser Gehirn ist ein Meisterwerk der Evolution. 86 Milliarden Nervenzellen sind in einem gigantischen Netzwerk über Synapsen miteinander verknüpft und vollbringen verblüffende Lern- und Denkleistungen. John Paul Strachan und Emre Neftci kommen gleichermaßen ins Schwärmen, wenn sie über das menschliche Gehirn sprechen – von seiner Komplexität, von seinen Fähigkeiten, von seiner Energieeffizienz. Die beiden Physiker wollen Computer bauen, die nach Art des Gehirns rechnen, sogenannte neuromorphe Computer.
Die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns auf Computer zu übertragen, klingt verlockend. „Die neuronalen Netze in unserem Gehirn verarbeiten und speichern riesige Mengen an Information. Dafür verbrauchen sie anders als Computer nur sehr wenig Energie. Und sie passen sich immer wieder flexibel an neue Lernprozesse und Erfahrungen an“, beschreibt Neftci. Technische Systeme mit solchen Fähigkeiten wären ideal, etwa um Autos autonom durch den Straßenverkehr zu steuern oder damit Computer selbst lernen.
Der Fokus des Schweizamerikaners Prof. Emre Neftci liegt auf der für neuromorphe Chips nötigen Software. Zuletzt arbeitete er als Assistenzprofessor an der University of California in Irvine. Davor hatte Neftci an der ETH Zürich im Bereich Neuroinformatik promoviert und geforscht Erste Modellschaltkreise von neuromorphen Systemen gibt es zwar bereits, in der Praxis wurden sie allerdings noch nicht häufig eingesetzt. Strachan und Neftci wollen das ändern. Dazu sind die beiden 2021 aus der US-amerikanischen Hightech-Region Kalifornien nach Jülich gekommen. „Hier sind Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen vertreten, die wir für diese Art von interdisziplinärer Forschung brauchen“, sagt Neftci. Er und Strachan ergänzen die Jülicher Riege aus Hard- und Softwareingenieuren, Halbleiterexperten, Grundlagenwissenschaftlern, Theoretikern und Neurowissenschaftlern.
Um einen Computer zu bauen, der ähnlich wie unser Gehirn arbeitet, braucht es allerdings spezielle Bauteile, eine besondere Architektur und neue Algorithmen. Anders als unser Gehirn verarbeiten und speichern Rechner Daten an unterschiedlichen Stellen. Diese zwischen Prozessor und Speicher hin- und herzuschicken, kostet Zeit und verbraucht Energie. John Paul Strachan arbeitet mit seinem Team an Chips, die Daten gleichzeitig an einem Ort verarbeiten und speichern. Diese sogenannten neuromorphen Chips sind der Struktur von neuronalen Netzen im Gehirn nachempfunden und bestehen aus hochgradig vernetzten künstlichen Neuronen und Synapsen.
Der in Costa Rica geborene US-Amerikaner Prof. John Paul Strachan arbeitete im Silicon Valley bei Hewlett Packard Laboratories, einem der Pioniere auf dem Gebiet des neuromorphen Rechnens. Strachan leitete dort ein Team, das an neuromorpher Hardware forscht. Er hält mehr als 50 Patente und studierte an den beiden amerikanischen Eliteuniversitäten MIT und Stanford. Gleichzeitig entwickeln die Forscher:innen neue Konzepte für die Architektur von neuromorphen Computern, für die sie weitere Bauteile und passende Schaltungen entwerfen. Solche Computer sollen gespeicherte Daten nutzen, um die eigenen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Sie bauen und optimieren wie unser Gehirn interne Informationsverbindungen, kurz gesagt: Sie lernen. So sollen Rechner Aufgaben lösen, für die sie zunächst nicht programmiert wurden.
Neue KI-Konzepte
„Neuromorphe Technologien könnten außerdem die Künstliche Intelligenz, kurz KI, grundlegend verändern“, meint Emre Neftci: Bisherige KI-Konzepte nutzen mathematische Algorithmen, ohne dass Effizienz dabei eine Rolle spielt. Das könnte sich mit neuromorphen Computern ändern, da sie ähnlich konzipiert sind wie ihre natürlichen – sehr effizienten – Vorbilder.
Neue Hardware und neue KI-Konzepte benötigen allerdings auch passende Software und Algorithmen. Hier kommen der Softwareexperte Neftci und sein Team ins Spiel. „Die für das herkömmliche Rechnen genutzten Algorithmen lassen sich nicht einfach auf das neuromorphe Computing übertragen. Es gelten dort andere Gesetze und Einschränkungen“, beschreibt er die Herausforderung. Um passende Programme zu realisieren, arbeiten er und sein Team eng mit anderen Jülicher Forschenden zusammen – etwa aus der Hirnforschung. „Deren Erkenntnisse können uns helfen, Software für das Maschinenlernen weiterzuentwickeln“, so Neftci.
0Millionen Euro
steckt das Bundesministerium für Bildung und Forschung in die Entwicklung von Hardware und Algorithmen für Computer nach dem Vorbild des Gehirns. Das Ministerium fördert damit die zweite Phase des interdisziplinären Projekts NEUROTEC, an dem auch John Paul Strachan und Emre Neftci beteiligt sind. Koordiniert vom Forschungszentrum, führt NEUROTEC die Kompetenzen von Jülich, der RWTH Aachen und zahlreichen regional ansässigen Unternehmen zusammen. Die Partner wollen dazu beitragen, dass künftige Computer für Künstliche Intelligenz verstärkt aus Deutschland und der EU kommen.
Auch Strachan erhofft sich wichtige Impulse von der fachübergreifenden Zusammenarbeit: „Neurowissenschaftler könnten mit unseren neuromorphen Systemen ihre Modelle für neuronale Netze überprüfen und das Gehirn besser verstehen“, erklärt er. Deren Ideen und Erfahrungen sollen ihm und seinem Team wiederum helfen, die Hardwaresysteme weiter zu verbessern. So bereichert am Ende jede Disziplin die andere, und gemeinsam nähert man sich dem großen Ziel: einem neuromorphen Rechner.
Janosch Deeg/Christian Hohlfeld
© 2022 Forschungszentrum Jülich