Farbenfroh: Die 3D-PLI-Aufnahme zeigt den Verlauf der Nervenfasern, hier im menschlichen Hippocampus, dem Sitz des Gedächtnisses.
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Forschung
Von wegen Spatzenhirn!
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Von wegen Spatzenhirn!
Geschickte Handwerker: Geradschnabelkrähen bauen Werkzeuge, mit denen sie Leckerbissen aus morschen Baumstämmen angeln.
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Das Vogelhirn galt bislang als unstrukturiert. Eine in Jülich entwickelte Methode belegt nun das Gegenteil, was das pfiffige Verhalten einiger Vogelarten erklären könnte. Die Erkenntnis zählt laut Fachzeitschrift „Science“ zu den zehn wichtigsten Durchbrüchen im Jahr 2020.
Sie ist ihren europäischen Verwandten eine Stöckchenlänge voraus: die Geradschnabelkrähe der Pazifikinsel Neukaledonien. Sie baut sich aus Ästen und Zweigen Werkzeuge, um damit an ihre Leibspeise zu gelangen – Larven und Maden im morschen Holz. Und noch erstaunlicher: Die Krähe baut sich das Werkzeug nicht nur, um ans Futter zu kommen, sondern auch, um sich noch besseres Baumaterial für Werkzeuge zu angeln. Die Wissenschaft sieht in dem Gebrauch von Werkzeugen, die nicht direkt der Futterbeschaffung dienen, ein typisches Merkmal der Intelligenz. Kein Wunder also, dass Verhaltensforschende die Geradschnabelkrähe für einen der intelligentesten Vögel halten. Aber auch andere Artgenossen gelten als schlau und raffiniert: Rabenvögel beispielsweise führen ihre Konkurrenz beim Futterverstecken und -klauen hinters Licht. Graupapageien besitzen ein Talent dafür, die menschliche Sprache nachzuahmen, Elstern erkennen ihr eigenes Spiegelbild – alles erstaunlich intelligente Leistungen.
Bild oben: Geschickte Handwerker: Geradschnabelkrähen bauen Werkzeuge, mit denen sie Leckerbissen aus morschen Baumstämmen angeln.
Nur wie gelingt es den gefiederten Freunden, derart komplex zu denken? Schließlich ist ihr Gehirn maximal so groß wie eine Walnuss. Und eine strukturierte Großhirnrinde, wie Säugetiere sie besitzen, suchten Forschende bisher vergeblich. Ein Teil der Großhirnrinde, der sogenannte Neocortex, ist gewissermaßen die Schaltzentrale menschlicher Intelligenz. Diese spezielle Struktur ist dafür verantwortlich, dass wir träumen, sprechen oder komplex denken können.
Eine Antwort fand nun ein Team um Prof. Katrin Amunts und Prof. Markus Axer vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1) in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universitäten Düsseldorf, Aachen und Bochum: Sie entdeckten im Vogelhirn erstmals Strukturen, die der Großhirnrinde der Säugetiere ähneln. Die Nervenzellen der Vögel sind dort – wie im Neocortex – in horizontalen Schichten und vertikalen Säulen vernetzt. Seine Erkenntnisse veröffentlichte das Team im Fachmagazin Science – und landete damit in der Top-10-Liste des Magazins zu den wichtigsten Erkenntnissen im Jahr 2020.
Markus Axer macht mit der 3D-PLI-Methode Nervennetzwerke im Gehirn sichtbar. Hirnstruktur sichtbar machen
Um größere Bereiche des Vogelgehirns sichtbar zu machen, setzten die Jülicher auf eine spezielle Art von Lichtmikroskopie (s. Kasten): „Wir haben die Techniken der Polarisationsmikroskopie mit der effizienten Datenanalyse des Supercomputings zusammengebracht – daraus entstanden ist die sogenannte ,3D Polarized Light Imaging-Methode‘, kurz 3D-PLI“, erklärt Axer, der am Forschungszentrum eine Arbeitsgruppe zu der Methode leitet. Die mit 3D-PLI gemachten Aufnahmen zeigen, wie Gehirnregionen über Nervenfasern verbunden sind. Sie machen Lage, Verlauf und Ausrichtung der Nervenfasern sichtbar, also auf welchen Wegen Signale weitergeleitet werden. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Gehirne von Vögeln und Primaten trotz aller offensichtlichen Unterschiede starke Ähnlichkeiten im hochaufgelösten Detail aufweisen – was auch ähnliche Denkfähigkeiten nahelegt“, resümiert Axer.
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Gehirne von Vögeln und Primaten im hochaufgelösten Detail starke Ähnlichkeiten aufweisen.“
Markus Axer
Graupapageien sind sehr sprachbegabt und helfen ihren Artgenossen ohne sofortige Gegenleistung. Schon seit 2006 arbeitet Axer in Jülich an der bildgebenden Polarisationsmikroskopie. Der Physiker hat die 3D-PLI-Methode am Forschungszentrum etabliert und kontinuierlich weiterentwickelt. Übernommen hatte er sie zuvor von seinem älteren Bruder Hubertus, der Facharzt für Neurologie und Anatomie ist. „Die Methode ist schon irgendwie zu einer Familiensache geworden“, sagt Axer. Aber dem großen Bruder fehlten damals die Möglichkeiten, die Technik zu verbessern.
Mit der Methode haben die Forschenden bereits drei komplette Taubengehirne in einer Auflösung von 1,3 tausendstel Millimetern analysiert. Jeweils 250 hauchdünne Schnitte wurden dabei hochauflösend gescannt und dreidimensional rekonstruiert. In naher Zukunft sollen daraus die ersten Vogelhirn-Atlanten entstehen, die Axer und sein Team der Community über die Hirnforschungsplattform EBRAINS des Human Brain Project zur Verfügung stellen wollen. Auch Prof. Katrin Amunts, Direktorin der beteiligten Institute in Jülich und Düsseldorf, ist begeistert: „3D-PLI trägt wesentlich zu einem tieferen Verständnis der Verbindungsstruktur des Gehirns bei. Die Methode ermöglicht es außerdem, über die verschiedenen Spezies hinweg Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Struktur der Nerven-Netzwerke zu erfassen.“
Axer geht davon aus, dass die Methode noch weitere Hirnregionen ins „rechte Polarisationslicht“ rücken wird. Fest steht: „Fürs Vogelhirn hat sie tatsächlich den Durchbruch gebracht.“
Katja Lüers
Elstern erkennen sich selbst im Spiegel. Was ist 3D-PLI?
Schon der berühmte deutsche Neuroanatom und Hirnkartierer Korbinian Brodmann (1868–1918) beobachtete, dass sich das Licht im Hirngewebe anders bricht als im restlichen Körpergewebe. Die Wissenschaft spricht von Doppelbrechung. Ursache ist die sogenannte Myelinscheide, die viele Nervenfasern wie eine Isolierung umhüllt. Forschende messen diese Doppelbrechung mit einem besonderen Verfahren der Lichtmikroskopie: der Polarisationsmikroskopie. Ein entsprechendes Mikroskop besitzt spezielle Filter, die nur bestimmtes Licht durchlassen – sogenanntes polarisiertes Licht.
„Wir messen, wie sich dieses polarisierte Licht verändert, wenn wir es durchs Gehirngewebe schicken. Mithilfe von Supercomputer und effizienter Datenanalyse berechnen wir daraus, wie Nervenfasern verlaufen“, erklärt Axer. Mit dieser „3D Polarized-Light-Imaging“-Methode, kurz 3D-PLI, schaffen es die Forschenden, Ausrichtung, Lage und Verlauf von Nervenfasern für das gesamte Gehirn darzustellen.
Verlauf der Nervenfasern, ebenfalls im menschlichen Hippocampus in einer anderen Schnittebene
Verlauf der Nervenfasern im Kleinhirn einer Meerkatze (Primat)
Nervenfasern im Gehirn eine Ratte
Nervenasern im Gehirn einer Taube. Zum Vergleich: Ein menschliches Gehirn ist etwa 500-mal größer als ein Taubengehirn.
Und sie füllt eine Lücke: Denn andere Methoden liefern entweder einen sehr detaillierten, aber zeitaufwendigen Blick aufs Gehirn anhand von Gewebeproben, die einzelne Zellen und ihre Verbindungen zeigen. Oder sie machen wie bei MRT-Bildern schnell – aber „grob“ aufgelöst – ganze Gehirnregionen sichtbar.
„Die 3D-PLI ist ein Zwischending“, sagt der stellvertretende Direktor des INM-1. Genau das sei ihr Vorteil. „Wir können uns das ganze Gehirn angucken, nicht jede einzelne Zelle, aber mehr Details als im MRT – und das in einer überschaubaren Zeitspanne. Das ist ein guter Kompromiss!“, ist Axer überzeugt. Ein Kompromiss, der so bahnbrechende Erkenntnisse ermöglicht wie jetzt beim Vogelhirn.
Wie die 3D-PLI Nervenbahnen sichtbar macht
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