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Forschung
Gut versorgt
Stromnetze sollen uns auch bei Schwankungen und Störungen in den Leitungen zuverlässig mit Energie beliefern. Vorbilder, wie man technische Versorgungsnetzwerke noch besser planen kann, liefern Netzwerke in der Natur. Davon ausgehend haben Jülicher Forschende ein Modell entwickelt, mit dem sie künftig optimale Netzwerke berechnen wollen.
Ein totaler Stromausfall würde die Infrastruktur eines Landes in kürzester Zeit lahmlegen. Daher sind Stromnetze in der Regel so aufgebaut, dass sie Schwankungen und Schäden an einzelnen Leitungen ausgleichen können. Das gelingt, indem von der Quelle mehrere Wege zum Verbraucher führen. Wenn nötig, kann der Strom so einzelne Unterbrechungen im Netzwerk umgehen. Diese sogenannte Maschen-Architektur ist daher deutlich weniger störanfällig als eine Baumstruktur, die sich zunehmend verästelt, aber bei der immer nur ein Pfad Quelle und Verbraucher verbindet. Die Maschen-Architektur erfordert jedoch mehr Leitungen in einem Stromnetz und verursacht höhere Kosten.
Größere Regionen, ganze Länder zum Beispiel, werden üblicherweise mittels Maschenstromnetzen versorgt. Bei kleineren Gebieten, etwa einzelnen Kommunen, kommen eher die günstigeren Baumstrukturen zum Einsatz. Auch bei anderen technischen Netzwerken, unter anderem der Wasserversorgung oder der Telekommunikation, finden beide Typen Verwendung. Franz Kaiser und Prof. Dirk Witthaut vom Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-STE) untersuchen mithilfe von Modellen, wie Energienetzwerke am besten aufgebaut werden sollten.
Die Natur als Vorbild für Stromnetze
Bei maschenlosen Versorgungsnetzen (links) gibt es nur einen möglichen Pfad von der Quelle zum Verbraucher. Diese Art von Netzwerk ist technisch einfacher und im Aufbau und Unterhalt preiswerter, aber auch störanfälliger als jene mit Maschen. Fällt in Letzteren eine Verbindung aus, kann das durch andere Pfade kompensiert werden. Ein Beispiel für maschenlose Versorgungsnetze ist das Gefäßsystem des Ginkgos. Das Blatt der Pappel weist hingegen etliche Maschen auf (rechts). Mit dem Modell der Jülicher Forschenden lässt sich der Übergang von baumartiger zu maschenartiger Struktur modellieren. Das hilft bei der Planung, wann und wo der Einbau von Maschen sinnvoll ist.Beim Austausch mit ihrem Kollegen Dr. Henrik Ronellenfitsch – ehemals Massachusetts Institute of Technology, jetzt Williams College in den USA –, der sich viel mit biologischen Netzwerken beschäftigt, haben sie erstaunliche Parallelen festgestellt. „Für die Modellierung unserer technischen Netzwerke verwenden wir dieselben mathematischen Gleichungen wie er für biologische Netzwerke“, berichtet Franz Kaiser. Auch biologische Systeme sind oft aus maschigen Netzen aufgebaut, wie etwa die feinen Gefäßkanäle in Blättern von Pflanzen, die für den Wassertransport zuständig sind, oder unsere Blutgefäße. Eine typische Baumstruktur weisen nur noch einzelne Pflanzenarten auf, die vergleichsweise früh in der Evolution entstanden, zum Beispiel die Baumart Ginkgo.
Die Ähnlichkeiten haben die Forschenden inspiriert, ein mathematisches Modell zu entwerfen, mit dem sich vorhersagen lässt, wie sich prinzipiell aus einer Baumstruktur eine Maschenstruktur entwickelt und wie zusätzliche Maschen entstehen. „Wenn wir diese Zusammenhänge besser verstehen, können wir Rückschlüsse ziehen, was wir beim Aufbau von technischen Versorgungsnetzen verbessern können“, so Franz Kaiser.
Die Natur bevorzugt Maschen
Analysen anderer Forschender hatten bereits gezeigt, dass in der Natur Schwankungen und Störungen in den Netzwerken zur Bildung von Maschen führen. Offenbar hat sich die Maschenstruktur bewährt, um Unterbrechungen im System auszugleichen – wenn zum Beispiel Insekten ein Blatt anknabbern, kann die Pflanze andere Wege im bestehenden Versorgungsnetzwerk nutzen, um die beschädigte Stelle zu umgehen.
Franz Kaiser möchte mit dem neuen Netzwerkmodell die Grundlagen liefern, um ein effizientes Stromnetzwerk aufzubauen. Dirk Witthaut untersucht und modelliert Energiesysteme. Die Stabilität und Dynamik von Netzwerken steht dabei besonders im Fokus. Dieses Netzwerkverhalten lässt sich modellieren: „Mit unseren Simulationen sehen wir, dass sich zum Beispiel ein Netzwerk, das mehr Beschädigungen ausgesetzt ist, anders entwickelt als eines, das weitgehend ‚störungsfrei‘ ist“, erklärt Kaiser. Die Wissenschaftler können außerdem nachvollziehen, wann und an welcher Stelle die erste Masche im Netzwerk entsteht, wenn sich bestimmte Parameter ändern. Das überraschende Ergebnis: Der Wechsel passiert sprunghaft. „Man könnte ja denken, dass die erste Masche sich langsam bildet, wenn sich Einflüsse wie Einspeiseschwankungen oder Stärke der Beschädigungen geringfügig ändern“, sagt Kaiser. Das sei aber nicht der Fall. Mathematisch betrachtet, können bereits sehr kleine Änderungen dazu führen, dass das Modell ein neues ideales Netzwerk liefert, in dem plötzlich eine Masche vorhanden ist, wo vorher keine war – also ein neuer Weg innerhalb des Netzwerks.
Verschiedene Netzstrukturen
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Topologie_(Rechnernetz)#/media/Datei:NetzwerkTopologien.png
Ihre theoretischen Erkenntnisse über die Entwicklung von Netzwerken wollen die Forschenden auf konkrete technische Systeme wie das Stromnetz übertragen und mit ihrem Modell berechnen, wie man solche Systeme effizient gestaltet. An welchen Stellen sind etwa Maschen in einem regionalen Stromnetz sinnvoll, um mögliche Störungen auszugleichen, und welche Kosten entstehen dadurch? „Wenn wir dann noch das Ausmaß der Kosten von Stromausfällen abschätzen, können wir auch veranschlagen, welche Einsparungen durch ein Maschennetzwerk möglich sind“, ergänzt Kaiser.
„Die Arbeit ist ein gutes Beispiel dafür, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit die Forschung voranbringt und wie auf den ersten Blick sehr theoretische Ergebnisse helfen können, alltägliche Fragen zu beantworten – in diesem Fall die nach der optimalen Struktur von Strom- und anderen Versorgungsnetzen“, freut sich Dirk Witthaut.
Janosch Deeg
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