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Forschung
Forschen in Zeiten von Corona
Über ein Jahr nach Beginn der Pandemie liegt das Virus im Rennen gegen den Menschen immer noch vorn. Mit Mutationen hat SARS-CoV-2 sein Tempo erhöht, aber die Wissenschaft ist ihm dicht auf den Fersen. Mathematik, Physik und Supercomputer helfen, die Ausbreitung und Eigenschaften des Virus besser zu verstehen, um es dann auszubremsen.
Mitmachen hilft!
Solange weite Teile der Bevölkerung nicht geimpft sind, bleibt der Grundsatz, Kontakte zu vermeiden, die schärfste Waffe im Kampf gegen die Pandemie. Wie stark sich die „Mitmachquote“ auf das Infektionsgeschehen auswirkt, zeigen Berechnungen des Jülich Supercomputing Centre und des Frankfurter Institute for Advanced Studies:
Nur wenn die Kontakte stärker reduziert werden und sich die Bevölkerung an die Regeln hält, lassen sich die Infektionszahlen innerhalb weniger Wochen deutlich senken. Bei ihren Simulationen sind die Forschenden von einem R-Wert von 1,5 und einer 7-Tage-Inzidenz von 150 als Startwert ausgegangen – angelehnt an Werte aus dem Herbst 2020 in Deutschland.
Szenario 1: Ein Teil der Bevölkerung reduziert seine Kontakte um 75 Prozent, während der andere Teil sein Verhalten nicht ändert – im ersten Bild machen 50 Prozent mit, im zweiten 70 und im dritten 90. Nur in der letzten Variante gelingt es, die Infektionszahlen innerhalb von Wochen deutlich zu senken.
Szenario 2: Kontakte um 50 Prozent reduziert. Selbst bei einer Mitmachquote von 90 Prozent ist das Infektionsgeschehen nur schwer einzudämmen.
Geballte Rechenpower gegen SARS-CoV-2
Das Impfen läuft. Was jedoch noch fehlt, ist ein Heilmittel. Jülicher Forschende fahnden in einem internationalen Gemeinschaftsprojekt mit 18 Institutionen aus sieben europäischen Ländern (Exscalate4Coronavirus) nach Molekülen, die zentrale Proteine des Coronavirus und so dessen Vermehrung blocken.
Hierzu nutzen sie die Rechenpower der größten Supercomputerzentren Europas, darunter das Jülich Supercomputing Centre: Innerhalb von Wochen überprüfen sie die Wirkung von Millionen von Molekülen. Dabei haben die Forschenden einen Weg gefunden, um genauer vorherzusagen, welche Moleküle die Haupt-3CL-Protease von SARS-CoV-2 im Computermodell hemmen.
Die 3CL-Protease ist ein Enzym, das die Vermehrung des Virus ermöglicht.
Das Team hat dabei die äußerst flexible 3D-Struktur des aktiven Enzym-Zentrums berücksichtigt – den entscheidenden Bereich für dessen Funktion. Es hat berechnet, welche zahlreichen Formationen das Zentrum einnehmen kann und wie mögliche Hemmstoffe aussehen müssten, um es zu blockieren. Prof. Giulia Rossetti vom Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-9) und Jülich Supercomputing Centre (JSC) sagt: „So ist es uns gelungen, zwei neue 3CL-Protease-Hemmer zu identifizieren. Die Methode lässt sich auch auf andere Proteine übertragen, die ähnlich flexible Eigenschaften besitzen.“
3 Fragen an …
… Prof. Jörg Labahn und Dr. Aurel Radulescu. Beide arbeiten an Jülicher Außenstellen: Jörg Labahn vom Centre for Structural Systems Biology entschlüsselt mithilfe von Deutschlands brillantesten Röntgenquellen am Forschungszentrum DESY in Hamburg etwa Strukturen zentraler Proteine des Virus. Aurel Radulescu, Mitarbeiter am Jülich Centre for Neutron Science in Garching, untersucht mit den Neutronenstreuinstrumenten am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum Nanopartikel, welche die neuartigen Boten-RNA-Impfstoffe umhüllen.
Was genau erforschen Sie?
Jörg Labahn: Wir untersuchen drei Proteine: das Spike-Protein, mit dessen Hilfe das Virus in die Zelle eindringt, eine weiteres, das für die Vermehrung essenziell ist, und ein drittes namens NSP6, über das wir aber noch wenig wissen.
Aurel Radulescu: Ohne Hülle aus Nanopartikeln würde die Boten-RNA des Impfstoffs direkt von körpereigenen Enzymen zerstört, noch bevor sie von Zellen aufgenommen und ihre Information abgelesen werden kann. Wir wollen wissen, wie man diese Verpackung verbessern kann.
Welche Fragen beantworten hierbei die Röntgen- und Neutronenquellen?
Jörg Labahn: Mithilfe der Röntgenstrukturanalyse klären wir auf, wie das Spike-Protein an die Zelle andockt. Und wir untersuchen damit die Struktur anderer Corona-Proteine, um herauszufinden, wie man sie blockieren und so die Vermehrung des Virus verhindern kann.
Aurel Radulescu: Die Neutronenstreuung charakterisiert die innere Organisation der Nanopartikel. Mit diesem Wissen können wir beurteilen, ob sich ein Nanopartikel eignet, um Boten-RNA-Impfstoffe oder andere Therapeutika in die Zelle einzuschleusen.
RNA-Impfstoffe
Diese Impfstoffe enthalten keine Viren, sondern die Bauanleitung für einen Teil des Virus in Form von Boten-RNA. Diese veranlasst die Zellen das Spike-Protein herzustellen, das vom Körper dann als „fremd“ erkannt und vom Immunsystem attackiert wird.
Was sind die nächsten Ziele?
Jörg Labahn: Wir möchten für therapeutische Anwendungen bereits zugelassene Substanzen identifizieren, welche die Funktionen der viralen Zielproteine hemmen. Im Falle des Membranproteins NSP6 gilt es auch herauszufinden, ob es sich als Angriffspunkt für Medikamente eignet.
Aurel Radulescu: Unsere Ergebnisse zeigen, dass Nanopartikel aus einer Kombination von Lipiden und Polymeren den Transfer der Boten-RNA in die Zelle deutlich verbessern. Das kann helfen, die weitere Entwicklung maßgeschneiderter Therapeutika und RNA-Impfstoffe voranzubringen.
Mehr zur Jülicher Corona-Forschung unter:
fz-juelich.de/coronaTexte: Brigitte Stahl-Busse
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