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Forschung
Pionierflug des Quantencomputings
Forschung
Pionierflug des Quantencomputings
Einfach mal fliegen: Orville Wright im November 1904, knapp ein Jahr nach dem Jungfernflug. Die Brüder Wright lösten Anfang des 20. Jahrhunderts mit ihren Flugapparaten zunächst kein dringendes Problem – und haben doch die Welt verändert.
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Ein Quantencomputer von Google hat mit Unterstützung aus Jülich eine Aufgabe gelöst, die derzeit kein klassischer Computer bewältigen kann. Warum diese Quantenüberlegenheit ähnlich wichtig werden könnte wie der erste Motorflug der Brüder Wright, erläutert der Jülicher Experte Prof. Tommaso Calarco vom Peter Grünberg Institut (PGI-8).
Ich bin Laie: Können Sie mir erklären, welches Problem der Google-Quantencomputer gelöst hat?
Ehrlich gesagt, nein. Es handelt sich um ein abstruses mathematisches Problem ohne praktischen Nutzen, bei dem man sozusagen vielfach mit dem Quantencomputer würfelt und die zufällige Verteilung der Ergebnisse berechnet. Das Problem zu verstehen, ist selbst für Fachleute nicht ganz einfach. Das Team von Google hatte es gewählt, weil es wie kein anderes geeignet ist, die Überlegenheit des Quantencomputers gegenüber dem klassischen Computer zu zeigen. Das heißt: Es genügen dafür schon die relativ wenigen funktionsfähigen Qubits, die man bisher erzeugen kann. Qubits sind die Quanten-Gegenstücke von Bits. Der Google-Quantencomputer hat die Aufgabe mit 53 Qubits in weniger als fünf Minuten gelöst – der weltweit schnellste Supercomputer würde laut Google einige Tausend Jahre benötigen.
Bild oben: Einfach mal fliegen: Orville Wright im November 1904, knapp ein Jahr nach dem Jungfernflug. Die Brüder Wright lösten Anfang des 20. Jahrhunderts mit ihren Flugapparaten zunächst kein dringendes Problem – und haben doch die Welt verändert.
Eine Rechnung ohne praktischen Wert – ist das nicht eher Effekthascherei als ein wissenschaftlicher Durchbruch?
Dieser Eindruck ist völlig falsch. Es handelt sich um eine großartige wissenschaftliche Leistung. Ich bin gerade deshalb besonders begeistert, weil es sich um ein Ergebnis der Grundlagenforschung handelt. Wer – wie es häufig geschieht – nur nach dem direkten Nutzen eines Ergebnisses fragt, bekommt allenfalls die Innovation von morgen, beispielsweise ein Auto mit einigen Prozent weniger Kraftstoffverbrauch. Wer sich aber mit der Nutzen-Frage etwas zurückhält, der bekommt vielleicht später die Innovation von übermorgen.
Der Physiker Tommaso Calarco gilt als einer der führenden Experten für Quantencomputing. Er ist einer der Initiatoren des Quantum Flagships der Europäischen Kommission und Vorsitzender des Quantum Community Network, eines Netzwerks von hochkarätigen Mitgliedern der Quantentechnologie-Community.
Der aktuelle Rechenerfolg des Quantencomputers erinnere an den ersten Flug der Brüder Wright, so ein US-amerikanischer Informatiker. Denn dieser Flug habe zunächst kein dringendes Problem gelöst. Ein treffender Vergleich?
Ja, ich finde den Vergleich sehr passend. Der erste Motorflug der Brüder Wright im Jahr 1903 war ein zwölf Sekunden kurzer Hopser, der zunächst keine neuen Transportmöglichkeiten schuf und keinen praktischen Nutzen hatte. Heute muss man niemandem mehr erklären, dass der Luftverkehr unsere Welt enorm verändert hat.
Hatten Sie den erfolgreichen Nachweis der Überlegenheit des Quantencomputers erwartet?
Hier liegt ein weiterer Grund für meine Begeisterung: Vor wenigen Jahren hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass die Quantenüberlegenheit vor meiner Pensionierung gezeigt werden kann.
Wie alt sind Sie denn?
Ich bin gerade 50 geworden.
Also ist die Quantencomputer-Entwicklung Ihren Erwartungen rund 15 Jahre voraus. Google hat damit vorgelegt. Ist das Unternehmen nun uneinholbar vorn?
Nein. Die Skalierbarkeit gilt als große Herausforderung, die auch Google noch nicht gemeistert hat: Man braucht Tausende möglichst perfekte Qubits, um wirklich nützliche Berechnungen durchführen zu können. Wer da am Ende vorne liegt, ist noch völlig offen. Vielleicht überholt der Konzern IBM in dieser Hinsicht Google. Auch wir in Jülich bauen mit Fördermitteln der europäischen Flagship-Initiative und Komponenten aus ganz Europa einen Quantencomputer. Dabei ist es gar nicht so wichtig, ob wir die nächsten Meilensteine vor oder nach diesen Konzernen erreichen. Entscheidend ist, dass wir nicht von amerikanischen oder chinesischen Unternehmen abhängig sein wollen. Schließlich kann es passieren, dass es zu Ausfuhrstopps kommt: Dann könnten wir plötzlich keine Quantencomputer mehr beispielsweise von Google kaufen.
Einfach mal liegen: Tommaso Calarco bei einer kreativen Pause. Mit seiner Forschung hat er beispielsweise Pionierarbeit für Anwendungen zur Kontrolle von Vielteilchen-Quantensystemen geleistet. Googles Quantencomputer beruht auf supraleitenden Schaltungen. Sind damit andere Technologien, mit denen sich Quantencomputer grundsätzlich bauen ließen, aus dem Rennen?
Wiederum nein. Es ist noch völlig ungewiss, mit welcher Technologie Tausende oder gar Millionen von möglichst fehlerfreien Qubits zu erhalten sind. Und darin liegt auch eine große Chance für Europa: Wir erforschen und entwickeln beispielsweise auch Quantencomputer, die auf Ionenfallen oder optischen Fallen basieren. Wir Europäer können dabei auf Labore, Infrastruktur und Fähigkeiten zugreifen, die in den letzten Jahren stark ausgebaut wurden. Google oder andere Konzerne müssten dagegen bei null anfangen, wenn sie auf diese Technologien umsteigen wollten.
Jülich betreibt herkömmliche Supercomputer der höchsten Leistungsklasse. Konkurriert das nicht mit der herausgehobenen Rolle Jülichs bei der europäischen Quantencomputer-Initiative?
Im Gegenteil. Solange wir noch keine Millionen perfekte Qubits haben, müssen wir dafür sorgen, dass die kostbaren Qubits nur das tun, worin sie unschlagbar sind. Für alles, was ein klassischer Computer kann, sollten keine Quantencomputer-Ressourcen verschwendet werden. Dazu zählt etwa die gesamte Vorbereitung der eigentlichen Rechnung. Es ist auf absehbare Zeit zwingend notwendig, dass Supercomputer und Quantencomputer zusammenarbeiten.
Unterstützung aus Jülich
„Quantenüberlegenheit“ bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem ein Quantencomputer erstmals einem herkömmlichen Rechner bei einer bestimmten Aufgabe überlegen ist. Das nachzuweisen, galt als große Herausforderung. Im September 2019 verkündete Google, diese Quantenüberlegenheit erreicht zu haben. An der wissenschaftlichen Veröffentlichung zu dem Nachweis waren auch Forscher des Jülich Supercomputing Centre (JSC) unter Leitung von Prof. Kristel Michielsen beteiligt. Sie trugen mittels Simulationen auf dem Jülicher Supercomputer JUWELS dazu bei, die Ergebnisse zu verifizieren und die Leistung des Quantenprozessors zu bestimmen.
Mehr zum Thema Quantencomputing auf fz-juelich.de und in der effzett 3/18.
Und wann wird es einen Quantencomputer geben, der praktisch nutzbar ist?
Im europäischen Quantum Flagship haben wir uns auf folgende Antwort geeinigt: Es wird mindestens 10 bis 20 Jahre dauern. Mir bereitet es Sorgen, wenn manche Unternehmen den Eindruck vermitteln, dass Quantencomputer bald schon alle Probleme bewältigen könnten. Diese Übertreibung führt fast zwangsläufig zu Enttäuschung – und schadet somit unserem Forschungsgebiet und der Gesellschaft. Erfreulicherweise haben die Europäische Kommission und die Bundesregierung inzwischen eingesehen, dass bei der Entwicklung von Quantencomputern ein langer Atem wesentlich für den Erfolg ist.
Das Interview führte Frank Frick.
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