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Forschung
Klimaforschung am Ende der Welt
Eisige Seen, schroffe Felsen, weite Steppen und raues Wetter – Feuerland ist bekannt für seine atemberaubende Natur. Doch nicht die lockte Wissenschaftler an den südlichsten Zipfel Amerikas, sondern die bislang wenig erforschte Atmosphäre der Südhalbkugel. Die Forschenden sammelten Daten in bis zu 90 Kilometer Höhe, um Modelle zu optimieren und den Klimawandel besser zu verstehen.
1Monate dauert die Messkampagne in Südamerika.
1Wissenschaftler und Techniker sind vor Ort im Einsatz.
1Millionen Euro beträgt das Budget der Kampagne.
Die Inselgruppe Feuerland ist der windumtoste südlichste Zipfel Argentiniens und Chiles, rund 1.000 Kilometer von der Antarktis entfernt. Im September und November 2019 verlegten etliche Atmosphärenforscher und Ingenieure ihre Labors in diese unwirtliche Gegend. Um genauer zu sein: in einen zugigen Flugzeughangar in der Stadt Rio Grande auf der Hauptinsel Feuerlands und an Bord des Forschungsflugzeugs HALO, das für die Messkampagne „SouthTRAC“ dort mit einer weltweit einzigartigen Instrumentierung stationiert war.
Das Ziel der Kampagne: Neue Daten über die Zusammensetzung und den Austausch der atmosphärischen Schichten auf der Südhalbkugel zu gewinnen. „Wir benötigen vor allem verlässliche Daten über die Zusammensetzung und den Transport von Spurengasen. Insbesondere in Höhen, in denen sich Troposphäre und Stratosphäre treffen – also in rund 8 bis 15 Kilometern. Diese Region ist entscheidend, um auch den Klimawandel der Südhalbkugel zu verstehen und die bestehenden Klimamodelle zu verbessern“, erklärt Dr. Peter Preusse, Physiker am Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-7). Außerdem wollen die Forscher einige der noch vorhandenen Lücken, etwa in Bezug auf Luftschadstoffe, Ozonabbau und Schwerewellen, schließen.
Über zwei Jahre minutiös geplant, lief die Kampagne vor Ort wie ein gut geöltes Uhrwerk. Daran änderten auch überraschende Wetterphänomene nichts, ebenso wenig Computer- und Autopannen, die professionell und auch schon mal unkonventionell gemeistert wurden.
Persönliche Eindrücke von der Kampagne in unserem Jülich Blog
Mit an Bord bei SouthTRAC
Die Flüge zur Messkampagne SouthTRAC koordinierten Jülicher Experten gemeinsam mit Kollegen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sowie der Universitäten Mainz und Frankfurt. Weitere Partner waren die Bergische Universität Wuppertal und die Universität Heidelberg. Insgesamt fanden 13 Instrumente Platz an Bord des Forschungsflugzeugs HALO, darunter drei weltweit einzigartige Präzisionsgeräte, die unter Jülicher Beteiligung entwickelt und gebaut wurden: das Infrarotspektrometer GLORIA zur Messung von Temperatur, Spurenstoffen und Aerosolen, das Hygrometer FISH, das die Luftfeuchte bestimmt, sowie AMICA, das weitere Spurengase misst.
Forschungsflüge über dem Südpol
In der Polarnacht kühlt die Atmosphäre über den Polen stark ab: In der Folge bildet sich der Polarwirbel und an seinem Rand Winde von über 100 m/s. Schwerewellen entstehen nördlich davon über den Anden und südlich über der antarktischen Halbinsel und breiten sich dann aus bis in den Polarwirbel hinein. Um dies zu erkunden, flog das Forschungsflugzeug HALO in den Polarwirbel hinein. Durch die Kombination der Messgeräte GLORIA und ALIMA ließ sich die Ausbreitung der Wellen von der Troposphäre bis in die Mesosphäre verfolgen. Ein zweites Ziel war es, Austauschprozesse zwischen Troposphäre und Stratosphäre zu untersuchen. Diese lassen sich anhand von Konzentrationen typischer Spurengase wie Wasserdampf, Kohlenmonoxid, FCKW und Ozon quantifizieren.
Sonnenuntergang über Rio Grande auf Feuerland: In den Wolken zeigen sich die Wogenstrukturen der Schwerewellen. Geriffelte Strukturen entlang der Hauptwellenkämme sind Wellen mit deutlich kleinerer Wellenlänge oder brechende Wellen. Schwerewellen und Ozonabbau
Sie zeigen sich als Wogen und Streifen in Wolken: Schwerewellen, atmosphärische Störungen, die Winde, Temperaturen und die chemische Zusammensetzung der mittleren und oberen Erdatmosphäre beeinflussen. Diese Luftschwingungen entstehen zum Beispiel, wenn starke Winde auf hohe Gebirge treffen – wie die Anden oder die Gebirgszüge der Antarktischen Halbinsel. Die Wellen sind mächtig: So können sie zum Beispiel den Polarwirbel über der Antarktis schwächen. Er rast mit über 200 Stundenkilometern in bis zu 80 Kilometer Höhe und beeinflusst das Klima auf der gesamten Welt. Wird der Wirbel gestört oder bricht er vorzeitig zusammen –, wie etwa im Winter 2019 – dann ist beispielsweise der Ozonabbau in der Stratosphäre geringer und somit das Ozonloch deutlich kleiner als bei üblichen Wetterlagen.
Die Forscher charakterisieren die dreidimensionale Ausbreitung und die Strukturen solcher Schwerewellen mithilfe des Spektrometers GLORIA und des neuartigen Lasers ALIMA, der spektakulär aus dem Kabinendach von HALO bis in 90 Kilometer Höhe strahlt. Auch sogenannte planetare Wellen mit Wellenlängen, die die halbe Erde umspannen, standen im Blickpunkt der Kampagne. Die Daten sollen auch klären, inwieweit diese Wellen zum Luftaustausch zwischen Troposphäre und Stratosphäre beitragen. Denn: Der Luftaustausch verändert die Verteilung von Spurengasen wie Wasserdampf und Ozon in der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre. Diese Verteilung beeinflusst wiederum, wie Wärme von der Atmosphäre aufgenommen und in den Weltraum abgeleitet oder aber zurück zum Boden reflektiert wird. Diese Prozesse sind somit Schlüsselelemente zum Verständnis des Klimawandels.
Luftschadstoffe
Ein dunkler Streifen zieht sich über den Horizont. Er zeugt von den verheerenden Waldbränden in Südamerika und Australien. Während der Transferflüge des Forschungsfliegers HALO zwischen Deutschland und Argentinien verzeichneten die Messgeräte an Bord zeitweise „so hohe Konzentrationen von Luftschadstoffen, zum Beispiel Kohlenstoffmonoxid, wie es die Kollegen während ihrer gesamten Laufbahn noch nicht gesehen hatten“, berichtet der Jülicher Experte Dr. Jörn Ungermann. Abbauprodukte der verschiedenen Luftschadstoffe sind sehr langlebig und dringen mit der Zeit auch in die Stratosphäre ein. Die Auswirkungen der großflächigen Brände auf das Klima sind nach Einschätzung der Forscher noch nicht absehbar.
Kleine und große Hürden
Nicht immer läuft alles rund. Noch bevor die Kampagne richtig startet, steckt der Seecontainer im Hafen fest, bis in den letzten Winkel vollgepackt mit Spezialequipment. 50 Meter Internetkabel fehlen, am Ankunftstag von HALO herrscht dichter Nebel und ein Computer mit den Daten von drei unwiederbringlichen Messtagen verweigert die Zusammenarbeit. Daneben noch die kleinen Dramen wie Schlamm und extremer Wind, die Mietwagen ruinieren und Wanderer auf die Knie zwingen. Aber dann hat der Zoll doch ein Einsehen, ein lokaler Elektrohändler lötet die fehlenden Kabel zusammen, der Nebel lichtet sich und die Daten können später in Jülich gerettet werden. Ein Farmer zieht den Mietwagen aus dem Dreck und alle Forscher kehren unversehrt von ihren Wandertouren zurück, um Antworten für die Einhaltung der weltweiten Klimaziele zu finden.
Texte: Brigitte Stahl-Busse
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