Dicke Kabelstränge ziehen sich durch das Innere der Windkraftanlage. Durch sie fließen der erzeugte Strom und die Signale, um die Anlage zu steuern. Erst oberhalb der Besucherplattform sind sie sichtbar.Im normalerweise zugänglichen Bereich umhüllt sie ein Stahlmantel.
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Titelthema
Frischer Wind statt Flaute
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Frischer Wind statt Flaute
Ortstermin im EuroWindPark westlich von Aachen: Dort steht das Besucherwindrad „Windfang“, eine von neun Windkraftanlagen mit je 1,5 bis 1,8 Megawatt Leistung.
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Deutschland soll bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral werden. Dafür ist ein Umbau des Energiesystems nötig. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Windenergie an Land. Doch ihr Ausbau ist im vergangenen Jahr in Deutschland auf einen historischen Tiefstand gefallen. Die Klimaziele geraten in Gefahr, warnen Jülicher Forscher.
__Rund 70 Meter über dem Erdboden: Im Maschinenraum der Besucherwindkraftanlage „Windfang“ drängt sich eine kleine Gruppe. Alle blicken nach oben zu Horst Kluttig, der die Tour führt. Der Physiker hockt auf der höchsten Sprosse der obersten Leiter im Maschinenraum und lässt die Beine baumeln, während ihm der Wind um die Nase weht. Er schaut aus der Dachluke, die er normalerweise nur öffnet, um an die Windmessgeräte auf der tropfenförmigen Gondel zu gelangen. „Aber an Tagen wie heute, wenn ich Gäste hier heraufführe, dann möchten wir natürlich auch die Aussicht genießen“, sagt er und lässt den Blick schweifen: über die hügelige Landschaft an der deutsch-niederländischen Grenze, die Wiesen und winterlich kahlen Felder bis hin zu den Dächern von Aachen. Es lässt sich kaum zählen, wie viele Windräder rundherum stehen: 100 bis 150 Anlagen dürften es sein. „Da hat sich viel getan in den vergangenen drei Jahrzehnten“, erklärt der Aachener Windkraftpionier, der als Planer von Windparks das Auf und Ab der Windenergie in Deutschland von Anfang an mitverfolgt hat.__
Mittlerweile herrscht Flaute in der Branche, der Ausbau in Deutschland ist praktisch zum Erliegen gekommen. 2019 entstanden in der Bundesrepublik gerade einmal 325 Anlagen an Land mit einer Gesamtleistung von 1.078 Megawatt – rund 80 Prozent weniger als noch zwei Jahre zuvor. Damit ist der Bruttozubau auf den niedrigsten Stand seit Einführung der staatlichen Förderung im Jahr 2000 gesunken.
Bild oben: Ortstermin im EuroWindPark westlich von Aachen: Dort steht das Besucherwindrad „Windfang“, eine von neun Windkraftanlagen mit je 1,5 bis 1,8 Megawatt Leistung.
Energiewende in Gefahr
„Beim Ausbau der Windenergie herrscht nahezu Windstille. Wenn Deutschland hier nicht schnell nachsteuert, ist die Energiewende nicht zu schaffen“, warnt der Jülicher Wirtschaftsingenieur Dr.-Ing. Martin Robinius. Am Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-3) behält der Wissenschaftler das gesamte deutsche Energiesystem im Blick.
Mithilfe von Computermodellen haben er und seine Kollegen am IEK-3 einen kostenoptimierten Fahrplan für die Energiewende entworfen. Bis zum Jahr 2050 müssen demnach die erneuerbaren Energien umfassend ausgebaut werden, gepuffert durch riesige Wasserstoffspeicher unter der Erde. Biomasse und Biogas sollen in Zukunft ein Viertel des deutschen Energiebedarfs decken. Gebäude müssen effizient isoliert werden; geheizt werden sie dann vor allem durch Wärmepumpen. Doch die wichtigste Voraussetzung für den Umbau des Energiesystems sind die Windturbinen an Land, sagt der Jülicher Experte: „Windkraft ist der Grundpfeiler, das Rückgrat der Energiewende. Ohne sie werden wir unsere selbstgesteckten Klimaziele nicht einhalten können.“
Deutschland hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2050 weitgehend treibhausgasneutral zu werden; das heißt, die Emissionen von CO2 und anderen klimawirksamen Gasen entsprechend zu senken. Für die derzeitigen politischen Zielwerte von 80 bis 95 Prozent Reduktion im Vergleich zum Jahr 1990 hatten die Forscher getrennte Szenarien durchgerechnet. Doch ob die Reduktion nun mit 95 oder nur mit 80 Prozent angesetzt wurde, hatte keinen Einfluss auf die Rolle der Windenergie als der zentralen Komponente beim Umbau des deutschen Energiesystems. Martin Robinius erläutert: „Der einzige Unterschied besteht darin, wie groß die Leistungen der Windenergie sein müssen, die wir im Jahr 2050 installiert haben werden. Im 95-Prozent-Szenario müssten wir im Durchschnitt jährlich eine Kapazität von 6,6 Gigawatt zubauen. Für das 80-Prozent-Ziel läge der Wert bei 3,8 Gigawatt. Die Realität sieht aber gegenwärtig anders aus: 2018 lagen wir bei nur 2,5 Gigawatt. Und im vergangenen Jahr bei knapp einem Gigawatt.“
„Windkraft ist der Grundpfeiler, das Rückgrat der Energiewende. Ohne sie werden wir unsere selbstgesteckten Klimaziele nicht einhalten können.“
Dr.-Ing. Martin Robinius
Akzeptanzprobleme
Die Ursachen für die Stagnation sind vielfältig. Zum Beispiel haben sich die politischen Rahmenbedingungen geändert, vor allem bei der Vergabe der Fördergelder. Aber auch ein Mangel an gesellschaftlicher Akzeptanz ist Teil des Problems. Mehr als 300 Windräder wurden Mitte des vergangenen Jahres in Deutschland mit Klagen belegt.
__Zurück in der Besucherwindanlage bei Aachen, auf dem Vetschauer Berg. Horst Kluttig und seine Gäste haben das Maschinenhaus inzwischen wieder verlassen und klettern über eine schmale Leiter ein Stockwerk tiefer zur Aussichtsplattform. Die Luken und stählernen Wände erinnern an ein beengtes U-Boot. Zur Sicherheit tragen alle Besucher Helme und Klettergurte.
Die Aussichtsplattform klebt unterhalb des Maschinenhauses am Turm; eine ringförmige Galerie, vor Wind und Wetter geschützt. Im Sekundentakt sausen die gewaltigen Rotorblätter an den Scheiben vorbei. Über 10.000 Besucher haben sich hier oben schon über die Technik der Windräder und ihren Beitrag zur Stromversorgung informiert – aber auch über die Kontroverse um die Anlagen. „Verspargelung der Landschaft, ja, das hört man immer wieder“, sagt Horst Kluttig. Das sei aber nicht immer so gewesen. Bei den ersten Projekten rund um Aachen hätte es keine Proteste der Anwohner gegeben. Die seien erst zehn Jahre später gekommen, als immer mehr Anlagen gebaut wurden.__
Ortstermin in der Besucherwindanlage
Regelmäßig nimmt Horst Kluttig interessierte Bürgerinnen und Bürger mit auf das Besucherwindrad am Vetschauer Berg bei Aachen, Jülicher Forscher beschäftigen sich mit der Akzeptanz von Windkraftanlagen.
Dr. Hawal Shamon kennt die Argumente für und wider die Windenergie. Am Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-STE) beschäftigt er sich mit der Akzeptanzforschung: Wie leicht fällt es Menschen, sich auf eine neue Technologie einzulassen? Und welche Gründe entscheiden über Annahme oder Ablehnung? „Dass die riesigen Anlagen das Landschaftsbild stören, wurde bei uns keinesfalls als das stärkste Argument gegen die Windkraft eingestuft“, erklärt der Sozialwissenschaftler. Für eine Online-Studie hatte er gemeinsam mit Kollegen über 1.000 Menschen, überwiegend mit bildungsstarkem Hintergrund, befragt, wie überzeugend sie eine Reihe von Pro- und Kontra-Argumenten hinsichtlich bestimmter Technologien zur Stromerzeugung fanden – von konventionellen Kohlekraftwerken bis hin zu Photovoltaik-Parks. Bei der Windkraft an erster Stelle der Bedenken: die negativen Auswirkungen auf die Vogelwelt.
Ausbau am Tiefpunkt
Jährlicher Bruttozubau von Onshore-Windkraftanlagen in Deutschland (in Megawatt)
Quellen: Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR), Deutsche WindGuard GmbH
Fakten ändern wenig
Wie viele Vögel tatsächlich durch die Windturbinen verenden, lässt sich nur schwer sagen. Allein die verunglückten Tiere zu zählen, stellt bereits eine Herausforderung dar. Denn manch ein Kadaver fällt vielleicht ins benachbarte Maisfeld oder wird von einem Fuchs gefressen. All diese Vögel gehen in die Statistik nicht ein. Und so bewegen sich die Zahlen für Deutschland je nach Forschungsprojekt zwischen 10.000 und 100.000 tödlichen Kollisionen jährlich.
Bild oben: Am Fuß der Windkraftanlage: Durch die grüne Tür geht es zu einer Wendeltreppe. Sie führt im Inneren des Turms über 300 Stufen zur Besucherplattform. Die benachbarten Windräder sind nur über eine Leiter im Turm zu erklimmen.
Aber würden konkrete Zahlen oder Studien überzeugte Gegner oder Befürworter der Windkraft tatsächlich beeinflussen oder gar umstimmen? Auch das hat Hawal Shamon in seiner Online-Befragung untersucht. Haben die Teilnehmer ihre Haltung zu den verschiedenen Techniken der Stromerzeugung geändert, nachdem sie sich mit den Pro- und Kontra-Argumenten beschäftigt hatten? Ergebnis: Der Großteil ist bei der ursprünglichen Meinung geblieben. Nur bei 22 Prozent der Befragten konnten Argumente dazu beitragen, dass sie ihre Einstellung zumindest teilweise revidierten. Allerdings: „Bei weiteren 16 Prozent der Teilnehmer konnten wir eine Polarisierung feststellen. Bei ihnen hat sich die vorgefasste Meinung durch die Beschäftigung mit den Argumenten nur noch weiter verstärkt“, erklärt der Forscher.
Dr. Wilhelm Kuckshinrichs, Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-STE), der ebenfalls an der Studie beteiligt war, weist auf ein entscheidendes Problem hin: „Die Politik glaubte lange Zeit: Menschen akzeptieren eine neue Technologie automatisch, wenn man ihnen nur genügend sachliche Argumente liefert. Doch so einfach funktioniert das nicht. Hier wird man neue Wege einschlagen müssen, die über eine reine Sachargumentation hinausgehen.“
__Mittlerweile hat sich die Besuchergruppe in der Windenergieanlage am Vetschauer Berg auf den Abstieg begeben – nicht auf einer schmalen Leiter, wie bei Anlagen dieser Größe üblich. In Aachen erleichtert eine Wendeltreppe im Inneren der Stahlröhre das Besteigen. Auf ihren Stufen hallen die Schritte der Gäste. Und kaum merklich schwankt die Konstruktion hin und her.
„Der Turm ist natürlich ein großer Resonanzkasten“, erläutert Horst Kluttig. „Hier hört man sehr deutlich alle Geräusche – besonders, was sich oben im Maschinenhaus abspielt: das Brummen des Generators, ein leises, mechanisches Geräusch der Welle. Wenn der Wind zunimmt, wird es hier drinnen im Turm noch mal etwas lauter.“__
Aber wenn es um die Lärmbelästigung durch Windräder geht, sind in der Regel nicht diese Geräusche gemeint. Beschwerden von Anwohnern betreffen meistens die aerodynamischen Geräusche der Anlagen: Die Rotorblätter schneiden durch die Luft, verdichten und entspannen dabei kurzzeitig die Luftmassen. Ein ausreichender Abstand zu Wohngebieten hilft, den Schall zu dämpfen. Doch welcher Abstand als ausreichend empfunden wird, auch darüber wird lebhaft debattiert.
So stritt im vergangenen Jahr die Politik darüber, die unterschiedlichen Vorschriften der Bundesländer zu vereinheitlichen und eine pauschale Abstandsregel auf Bundesebene einzuführen. Im Gespräch war eine Mindestdistanz von 1.000 Metern zu Siedlungen aus fünf oder mehr Wohngebäuden. Diese soll künftig aber nur eine Orientierungsgröße sein, jedes Bundesland soll weiterhin für sich selbst entscheiden können.
„Die 1.000-Meter-Abstandsregelung würde definitiv dem ganzen System schaden“, glaubt Martin Robinius. „Je nachdem, ab welcher Siedlungsgröße solch eine Vorschrift greifen sollte, könnte das das Aus für die Windenergie in Deutschland bedeuten.“ Er plädiert daher dafür, im Einzelfall auf kommunaler oder regionaler Ebene über den Abstand zwischen Wohngebiet und Windrad zu entscheiden – je nach den Gegebenheiten vor Ort. Die Fachleute am IEK-3 entwickeln zurzeit eine Open-Source-Software, mit der sich anzeigen lässt, welche Flächen in Deutschland für die Windenergie zur Verfügung stehen – unter bestimmten Vorgaben. Martin Robinius: „Gemeindevertreter können auf einer grafischen Benutzeroberfläche einen beliebigen Mindestabstand eingeben und sich dann anschauen, wie sich die nutzbaren Flächen ändern. Das wäre eine wichtige Entscheidungshilfe für die Gemeinden, um für sich abzuwägen, ob und wo eine Anlage errichtet werden soll. In den nördlichen Bundesländern sind beispielsweise viele Kommunen Feuer und Flamme für Windenergie. Sie sehen darin ein zukunftsträchtiges Geschäftsfeld, und eine 1.000-Meter-Regel würde da nur stören. Im süddeutschen Raum dagegen fürchten die Gemeinden um ihr Landschaftsbild.“
Auf der Besucherplattform in 63 Meter Höhe ist Zeit für Erklärungen und um die Aussicht zu genießen.
Windenergie zum Anfassen: An einem Miniwindrad zeigen Horst Kluttig und seine Tochter Elanor, dass schon zartes Pusten am Rotorblatt eine LED zum Leuchten bringt.
Viele Klagen wegen Artenschutz
Eine strikte Abstandsregelung hätte auch kaum Einfluss auf die Akzeptanz der Windenergie vor Ort, betont Wilhelm Kuckshinrichs. So hat eine Branchenumfrage der Fachagentur Windenergie an Land ergeben: Der Großteil der Klagen, die zurzeit gegen die Genehmigung von Windrädern laufen, beziehen sich auf Artenschutz. Sie betreffen 72 Prozent der insgesamt 325 Anlagen. Gegen knapp ein Viertel der Anlagen wurde von Anwohnern geklagt, die sich in ihrer Gesundheit und in ihrem Wohlergehen beeinträchtigt sehen. Wer die Akzeptanz für die Technologie erhöhen wolle, müsse die Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden aktiv an den Projekten beteiligen: „Sie frühestmöglich einbinden in die Pläne und Entscheidungen, auf ihre Wünsche, Anregungen, aber auch ihre Sorgen eingehen. Und auch monetäre Argumente können dabei eine wichtige Rolle spielen.“
Ein Windbürgergeld, also eine direkte Zahlung an betroffene Anwohner, wie es im vergangenen Herbst diskutiert wurde, sei dabei nur ein mögliches Modell unter vielen. Vorstellbar seien auch vergünstigte Stromtarife oder die Beteiligung der Kommunen an den Gewinnen der Windparks. Und ein Gemeinschaftsprojekt in Form einer Genossenschaft könne ebenso zur Akzeptanz durch Partizipation führen: „Das Gefühl der Menschen vor Ort, an einer Anlage beteiligt zu sein, sogar Miteigentümer einer solchen Anlage zu sein, bewirkt nach unseren Erfahrungen sehr viel Positives. Das bestätigten auch andere Experten mit verschiedenen Beispielen aus der Praxis, die sie bei einem Workshop des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses Ende 2019 in Jülich vorstellten.“
„Dass die riesigen Anlagen das Landschaftsbild stören, wurde von den Befragten keinesfalls als das stärkste Argument gegen die Windkraft eingestuft.“
Dr. Hawal Shamon
__Horst Kluttig hat mittlerweile mit seinen Gästen den Fuß der Besucherwindanlage am Vetschauer Berg erreicht. Noch ein paar Stufen auf der Außentreppe, dann haben alle wieder festen Erdboden unter den Füßen. Weit oben über ihren Köpfen dreht sich ausdauernd der gewaltige Rotor.
Der Physiker schaut am Turm in die Höhe und erklärt: „Ein Teil der Anlagen hier im Windpark hat die erwartete Lebensdauer von 20 Jahren hinter sich.“ Und er nickt in Richtung eines Windrads, das stillsteht. „Die Anlage dort drüben weist deutliche Schwächeerscheinungen auf, sie hat immer mal wieder technische Probleme. Das heißt: Die älteren Anlagen stehen zum Repowering an.
Sie sollen also gegen leistungsstärkere Windräder ausgetauscht werden. Da sie dann aber auch auf höheren Türmen sitzen und einen größeren Rotor haben werden, wird die Gesamtzahl am Vetschauer Berg voraussichtlich von neun auf drei bis vier Anlagen sinken. Horst Kluttig hofft trotzdem auf einen reibungslosen Übergang.__
Energiemix heute und morgen
Bruttostromerzeugung in Deutschland nach Energieträgern in Milliarden Kilowattstunden (kWh)
Quellen: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW, Stand: 11.2.2020), Forschungszentrum Jülich/Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-3)
Eine Hürde für den zügigen Ausbau der Windenergie stelle die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2017 dar, argumentiert Wilhelm Kuckshinrichs. Bis dahin habe jeder Betreiber eines Windparks pro Kilowattstunde Strom einen vorab festgelegten Preis erhalten – und das über 20 Jahre hinweg. „Für die Unternehmen hat das natürlich eine starke Investitionssicherheit mit sich gebracht. Und dadurch waren auch kleinere Akteure mit an Bord, wie etwa Bürgerwindparks, die weniger Geld in der Hinterhand haben“, sagt der Jülicher Energiefachmann.
Doch mittlerweile ist die Einspeisevergütung durch ein Ausschreibungsmodell abgelöst worden. Wer Windräder errichten will, muss sich auf Auktionen um eine Förderung bewerben. Die Unternehmen bieten dabei Lieferungen von Windstrom an. Und wer am preiswertesten liefern kann, erhält den Zuschlag. Der Gedanke dahinter: Durch den Wettbewerb sollen sich die Anbieter mit der effizientesten Technik und den besten Standorten durchsetzen. Doch laut Wilhelm Kuckshinrichs hat das Verfahren dazu beigetragen, dass der Markt stagniert, weil immer weniger Akteure daran teilnehmen: „Für die Anbieter sind gewisse Risiken damit verbunden: Sie müssen vorab in die Planung eines neuen Windparks investieren, können sich aber nicht sicher sein, dass sie beim Ausschreibungswettbewerb auch zum Zug kommen und die Chance erhalten, ihre Investitionen zu refinanzieren. Besonders schwierig ist das natürlich für Unternehmen, bei denen das Geld zum Großteil aus der Beteiligung der Bürger stammt.“
Zuwachs gedeckelt
Sein Kollege Martin Robinius pflichtet ihm bei: „Das Gebotsverfahren funktioniert in dieser Form nicht mehr. Die Windparks aus Bürgerhand werden dort nicht ausreichend berücksichtigt. Doch genau das wäre wichtig für die Akzeptanz: dass eine Gemeinde einen Windpark aufbaut und einen Teil der Gewinne selbst wieder einnimmt.“
Das Ausschreibungsmodell setzt dem Zuwachs an Windrädern außerdem eine Grenze nach oben. Denn bei den Auktionen kommen jährlich nur maximal 2,8 Gigawatt unter den Hammer – und damit deutlich weniger als die 6,6 Gigawatt, die nach den Berechnungen des Forschers notwendig sind, um die Klimaziele mit möglichst geringen Kosten zu erreichen. Diese Deckelung war dazu gedacht, dass der Ausbau der Verteilernetze für den erzeugten Strom mit dem Ausbau der Windenergie Schritt halten kann. Allerdings stößt auch der Ausbau der oberirdischen Stromnetze auf große Akzeptanzprobleme, weiß Kuckshinrichs.
Der Strom muss allerdings nicht unbedingt über Leitungen transportiert werden. „Man könnte hier die gewaltige Dynamik der Erneuerbaren mitnehmen und darüber nachdenken, mit dem Strom Wasserstoff oder andere Energieträger zu erzeugen“, sagt Prof. Detlef Stolten vom IEK-3, der sich mit Aufbau und Kosten einer entsprechenden Infrastruktur beschäftigt. So ließe sich mit überschüssigem Strom, der in windreichen Zeiten anfällt, Wasser in seine elementaren Bestandteile zerlegen. Wasserstoff würde dann als chemischer Energiespeicher dienen, um Dunkelflauten zu überwinden. Außerdem lässt sich das Gas an organische Trägerflüssigkeiten binden und so gefahrlos in Tankwagen über weite Strecken transportieren – ganz ohne Überlandleitung. „Auch wenn es keinen Königsweg gibt, die Energiewende ist auf jeden Fall machbar. Wir müssen nichts fundamental ändern, allerdings an vielen Stellen nachjustieren – ob bei Ausschreibungen, Abstandsregeln, Genehmigungsverfahren und Bürgerbeteiligung –, und das rasch“, so Wilhelm Kuckshinrichs. „Dann kommt auch wieder Schwung in die Windkraftbranche“, ergänzt Martin Robinius.
Arndt Reuning
„Die Politik glaubte lange: Menschen akzeptieren eine neue Technologie automatisch, wenn man ihnen genügend sachliche Argumente liefert. Doch so einfach funktioniert das nicht.“
Dr. Wilhelm Kuckshinrichs
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