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Forschung
Sonnenteleskop unter Tage
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Sonnenteleskop unter Tage
Im Innern des Borexino-Tanks: Rund 2.000 hochempfindliche Lichtdetektoren wurden an der Innenwand der Edelstahlkugel angebracht, um Neutrinos zu erfassen.
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Tief unter der Erde das Innere der Sonne erkunden? Klingt paradox. Doch genau das machen Wissenschaftler seit 2007 in einem unterirdischen Labor im Gran-Sasso-Gebirgsmassiv unweit von Rom: Im Borexino-Experiment beobachten sie dazu seltene Lichtblitze mit einem einzigartigen Detektor. Die Messdaten liefern neue Erkenntnisse über die Reaktionen, die unsere Sonne antreiben.
Es blitzt hell, wenn ein Neutrino mit der Spezialflüssigkeit im Innern des Detektors in Wechselwirkung tritt. „Neutrinos, elektrisch neutrale und extrem leichte Elementarteilchen, entstehen beispielsweise bei Reaktionen im Kern der Sonne“, erklärt die Jülicher Physikerin Prof. Livia Ludhova, eine der beiden wissenschaftlichen Koordinatoren von Borexino. Milliarden der solaren Neutrinos fliegen pro Sekunde durch jeden Quadratzentimeter auf der Erde – auch durch unseren Körper –, doch die Teilchen lassen sich kaum nachweisen. Das liegt einerseits an ihrer schwachen Wechselwirkung mit Materie. Reaktionen, die zu Lichtblitzen führen, sind außerordentlich rar. Um keinen der seltenen Blitze zu verpassen, sind rund 2.000 hochempfindliche Lichtsensoren um den Borexino-Tank angeordnet, der mit 280 Tonnen einer Spezialflüssigkeit, dem Szintillator, gefüllt ist.
Bild oben: Im Innern des Borexino-Tanks: Rund 2.000 hochempfindliche Lichtdetektoren wurden an der Innenwand der Edelstahlkugel angebracht, um Neutrinos zu erfassen.
Andererseits könnten Reaktionen anderer Partikel die Messung stören: Die natürliche Radioaktivität gewöhnlicher Materialien würde milliardenmal mehr Blitze verursachen als die solaren Neutrinos. Daher musste der Borexino-Detektor aus strahlungsarmen Materialien gebaut werden. Der Szintillator selbst besteht aus der strahlungsärmsten Flüssigkeit, die bisher erzeugt wurde. Auch die sogenannte kosmische Strahlung, die fortwährend aus dem Weltall auf die Erde prasselt, würde weit mehr Lichtblitze erzeugen als die Neutrinos. Doch das Gebirgsmassiv mit seinen 1.400 Metern Gestein über der Messkammer schirmt diese Teilchen fast komplett ab – nur die Neutrinos können den Fels ungehindert passieren.
Neue Messungen
Neutrinos sind die perfekten Boten und der einzige direkte Nachweis für die Vorgänge im Innern der Sonne: also die Kernfusionsreaktionen, die unser Zentralgestirn leuchten lassen und somit eine wesentliche Voraussetzung für das Leben auf der Erde sind. Tief im Sonneninnern verschmelzen Wasserstoffatomkerne auf verschiedenen Reaktionswegen zu Helium und erzeugen dabei nicht nur Sonnenenergie, sondern auch Neutrinos. „Wir haben nun die neuesten Daten von 2012 bis 2016 ausgewertet, der sogenannten Phase 2 des Borexino-Experiments. In dieser Phase haben wir die radioaktive Strahlung des flüssigen Szintillators weiter verringert und erstmals das gesamte Energiespektrum der solaren Neutrinos beobachtet. Unsere Ergebnisse liefern neue und präzisere Informationen über verschiedene Vorgänge im Sonneninnern“, so Ludhova.
Prof. Livia Ludhova Neutrino-Schleuder
Die Sonne ist ein gigantischer Feuerball aus heißen Gasen und Geburtsort von Neutrinos. Sie hat einen Durchmesser von knapp 1,4 Millionen Kilometern, das entspricht etwa dem Hundertfachen der Erde (12.700 Kilometer). Im Kern der Sonne herrschen Temperaturen von rund 15 Millionen Grad Celsius. Durch Fusionsreaktionen im Kern entsteht Energie – und Unmengen Neutrinos, elektrisch neutrale Elementarteilchen mit sehr geringer Masse. Während sich Licht und Wärme mühsam ihren Weg durch die verschiedenen Schichten der Sonne bahnen, können Neutrinos sie fast ungehindert durchqueren. Das liegt daran, dass Neutrinos so gut wie gar nicht mit anderer Materie wechselwirken. Haben die Neutrinos die Sonne verlassen, rasen sie nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durchs Weltall.Erstmals ist es den Forschern gelungen, Neutrinos aus vier verschiedenen Zweigen der sogenannten pp-Fusionskette in einer einzigen Messung zu beobachten. Dazu zählen auch Neutrinos aus der sogenannten pep-Reaktion, die nun eindeutig nachgewiesen wurden. Die Ergebnisse bestätigen das allgemeine Verständnis der Wissenschaftler von der Energieerzeugung in der Sonne. „Die Daten in bisher unerreichter Genauigkeit sind von unschätzbarem Wert für uns, um die sogenannten Standard-Sonnenmodelle weiter zu präzisieren, also unser Wissen über die chemische Zusammensetzung der Sonne“, berichtet die Jülicher Expertin.
Seit Jahrtausenden im Gleichgewicht
Und noch eine Entdeckung verbarg sich in den Daten: „Wir können aus den Neutrinos, die auf die Erde gelangen, die aktuelle Energieproduktion im Innern der Sonne ablesen – mit nur acht Minuten Verzögerung.“ So lange brauchen die Neutrinos, die annähernd mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, um von der Sonne zur Erde zu gelangen. Das Licht und die Wärme der Sonne benötigen dagegen etwa 100.000 Jahre, um vom Kern bis an die Oberfläche des Plasmaballs und von dort zur Erde zu gelangen. Der Vergleich der Informationen aus den Neutrinos mit den Daten aus Licht und Wärme ergab: Die Energieproduktion hat sich in diesem Zeitraum nicht verändert. Ludhova: „Die Sonne befindet sich also seit mindestens 100.000 Jahren im Gleichgewicht.“ Dass sich die Energieproduktion der Sonne gefährlich ändert oder die Sonne gar „verbraucht“ ist, muss die Menschheit in den nächsten Jahrtausenden also definitiv nicht befürchten.
Jens Kube
© 2022 Forschungszentrum Jülich