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Forschung
Magnetische Hilfe fürs Hirn
Forschung
Magnetische Hilfe fürs Hirn
So wollen die Jülicher Forscher Christian Grefkes (l.) und Caroline Tscherpel Schlaganfallpatienten künftig helfen: Eine Magnetspule am Kopf des Patienten verstärkt oder schwächt die Aktivität von Nervenzellen im Hirn. Elektroden in der Kopfhaube messen gleichzeitig die Hirnströme, sodass sichtbar wird, wie die Stimulation wirkt.
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Mit Magnetfeldern Schlaganfallpatienten behandeln: Was nach Gesundbeterei klingt, hat sich in der Forschung als transkranielle Magnetstimulation bewährt. Wissenschaftler aus Jülich und Köln testen diese Methode in einer großen klinischen Studie – die erste dieser Art weltweit. Ihr langfristiges Ziel: individualisierte Therapien.
Schlagartig kann Wilhelm Zeffler sein linkes Bein und seinen linken Arm nicht mehr bewegen. Der 74-Jährige kriecht den Flur entlang Richtung Telefon. Glücklicherweise kommt im selben Moment seine Ehefrau nach Hause und ruft sofort den Notarzt. Danach geht alles rasend schnell: Rettungswagen mit Blaulicht, Sanitäter und Ärzte im Einsatz. Vorläufige Diagnose: Schlaganfall, das heißt, Teile des Gehirns werden nicht mehr durchblutet und Nervenzellen sterben ab. „Zeit ist Hirn“ lautet die Devise, denn je schneller der Betroffene versorgt wird, umso größer die Chance, Folgeschäden zu minimieren. Der bis dahin rüstige Rentner wird auf die Stroke-Unit verlegt – jene spezielle Organisationseinheit innerhalb eines Krankenhauses, die die Erstbehandlung von Schlaganfallpatienten übernimmt.
Bild oben: So wollen die Jülicher Forscher Christian Grefkes (l.) und Caroline Tscherpel Schlaganfallpatienten künftig helfen: Eine Magnetspule am Kopf des Patienten verstärkt oder schwächt die Aktivität von Nervenzellen im Hirn. Elektroden in der Kopfhaube messen gleichzeitig die Hirnströme, sodass sichtbar wird, wie die Stimulation wirkt.
Wilhelm Zeffler gehört zu den rund 270.000 Menschen, die jährlich in Deutschland einen Schlaganfall erleiden – das heißt, alle zwei Minuten trifft es eine Person. 63.000 Frauen und Männer sterben an den Folgen. Der Schlaganfall ist nach Herz-, Krebs- und Lungenerkrankungen die vierthäufigste Todesursache in Deutschland.
„Und das Thema betrifft immer mehr Menschen, denn unsere Bevölkerung altert, da wird die Zahl der Schlaganfallpatienten weiter steigen“, sagt Prof. Christian Grefkes. Der 41-Jährige hat sich nach dem Medizinstudium auf das Thema Schlaganfall spezialisiert. Seit 2005 arbeitet und forscht er in enger Kooperation mit seinem langjährigen Mentor Prof. Gereon Fink am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-3) und an der Uniklinik Köln zur transkraniellen Magnetstimulation TMS, mit der sich gezielt von außen über eine Magnetspule bestimmte Bereiche des Gehirns schmerzfrei beeinflussen lassen (siehe „Stimulation des Gehirns – ein Überblick“). Grefkes Forschung und sein wissenschaftliches Engagement haben ihm bereits einige Preise eingebracht, darunter der Young-Investigator-Award des Kompetenznetzwerks Schlaganfall. Im Wettbewerb Deutschland – Land der Ideen wurde sein Thema „Frührehabilitation von Schlaganfallpatienten durch Hirnstimulation“ als „Ausgewählter Ort“ ausgezeichnet.
„Das Thema faszinierte mich bereits im Studium und lässt mich seitdem nicht mehr los. Und in den vergangenen Jahren haben wir auch einige Durchbrüche erzielt“, erzählt Grefkes. Beispielsweise fanden Jülicher Forscher 2007 bei der ersten großen Studie mit Schlaganfallpatienten heraus, wie sich das Gehirn nach einem Schlaganfall erholt und neu organisiert. Bekannt war bereits, dass bei einem Schlaganfall ein Teil des Gehirns nicht mehr ausreichend durchblutet wird und Hirngewebe abstirbt. Die körperlichen Folgen sind – je nach Schwere des Schlaganfalls – Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen, Seh- oder Sprachstörungen. Im Laufe der Zeit übernehmen andere, gesunde Bereiche im Gehirn die Aufgaben der abgestorbenen Regionen. „Unsere Studienergebnisse waren eine Überraschung“, blickt Grefkes zurück. So konnten die Jülicher Wissenschaftler bei einigen Schlaganfallpatienten zeigen, dass die gesunde Gehirnhälfte die geschädigte Hirnregion bei der Reorganisation nicht unterstützt, sondern – im Gegenteil – hemmt.Menschen sterben Schätzungen zufolge weltweit jede Minute an einem Schlaganfall.
Übers Ziel hinausgeschossen
Ob und wie weit sich mithilfe transkranieller Stimulation die Hirnleistung verbessern lässt, haben Göttinger Forscher 2014 zusammen mit Shinichi Furuya und Eckart Altenmüller von der Musikhochschule Hannover an Pianisten getestet: Während ungeübte Klavierspieler tatsächlich nach Gleichstromstimulation besser spielten, nahm die Anschlagsgenauigkeit bei den Profis ab. Offensichtlich kann man die Leistung eines Hirnareals, das schon sein Optimum erreicht hat, nicht mehr verbessern, sondern nur noch verschlechtern, folgerten die Forscher. „Oder aber man müsste bei den Profi-Pianisten möglicherweise ganz andere Bereiche im Gehirn stimulieren“, gibt Prof. Christian Grefkes zu bedenken.
Die Mathematikerin Silvia Daun hat sich auf biologische Prozesse spezialisiert. Für die Schlaganfall-Forschung entwickelt sie Modelle, die zeigen, wie sich Magnetstimulationen auf das Gehirn von Patienten auswirken. „Wir haben mithilfe der transkraniellen Magnetstimulation das ,Störfeuer‘ der gesunden Hirnhälfte kurzfristig unterdrückt – mit dem Erfolg, dass die Betroffenen ihre Hände wieder gezielter einsetzen konnten. Im Klartext: Durch die gezielte Hemmung der überschießenden Gehirnaktivität und die dadurch bedingte Normalisierung der Netzwerke haben wir eine motorische Verbesserung erzielt – das war eine völlig neue Erkenntnis“, so der Mediziner. Damit wurde auch deutlich, dass es nicht nur die eine, optimale Lösung gibt, um motorische Funktionen nach einem Schlaganfall zu verbessern. Forscher müssen sich sehr genau den Zustand des Gehirns anschauen, um langfristig mit einer auf den Patienten zugeschnittenen Therapie die Störung im Netzwerk zu beheben.
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der Menschen, die einen Schlaganfall erleiden, leben in Entwicklungsländern.
DIREKT AM BETT EINSETZBAR
Um die Störung aufzuspüren, haben die Forscher bisher vor allem die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) als bildgebendes Verfahren eingesetzt: Sie macht aktive Regionen im Gehirn dreidimensional sichtbar. Die Betroffenen werden in eine enge Röhre geschoben, in der sie absolut ruhig liegen und gleichmäßig atmen müssen, damit die Aufnahme nicht gestört wird. „Für den Klinikalltag ist die Untersuchung aber zu aufwendig, und nicht alle Betroffenen schaffen es, ruhig liegen zu bleiben oder entsprechenden Aufforderungen zu folgen“, sagt Grefkes.
Einen Ausweg soll eine neue Methode schaffen, die die Ärzte künftig ohne großen Aufwand direkt am Patientenbett einsetzen können: eine Kombination aus TMS und einer Messung der Hirnströme, der Elektroenzephalographie, bekannter unter der Abkürzung EEG. Aktuell testen die Jülicher und Kölner ihren Ansatz in einer experimentellen Studie. „Mit der Kombination von EEG und TMS sind wir in der Lage, direkt zu messen, wie die Stimulation durch Magnetfelder auf das Gehirn wirkt. Dadurch können wir sie an die Bedürfnisse der Patienten anpassen – quasi eine maßgeschneiderte Stimulation. Die ist zwar noch Zukunftsmusik, aber schon in greifbare Nähe gerückt“, so Grefkes.
Prozent der überlebenden Patienten bleiben nach einem Schlaganfall auf Pflege oder Therapie angewiesen.
Was für den Laien nicht sonderlich beeindruckend klingt, erfordert viel Geschick und noch mehr mathematisches Verständnis: Denn TMS und EEG reagieren aufeinander wie Feuer und Eis. „Das EEG ist eine Messmethode, um sehr feine Nervenströme zu erfassen, die Magnetstimulation hingegen so stark, dass sie zunächst jedes Signal überlagert, das das EEG aufzeichnet“, erklärt die Jülicher Mathematikerin Prof. Silvia Daun, ebenfalls vom INM-3. Dennoch ist es den Forschern gelungen, die beiden Methoden mit einem Fokus auf Schlaganfallpatienten zu verzahnen.
Diese Parallelität von Stimulation und Auswirkung ist in der Schlaganfall-Forschung noch Neuland – die Wissenschaftler erhoffen sich davon neue Erkenntnisse und Vorhersagemodelle – basierend auf den von Silvia Daun entwickelten mathematischen Netzwerkmodellen. „Das EEG hilft uns auszulesen, wo sich die Netzwerkstörung im System befindet, wo wir mit der Magnetstimulation eingreifen müssen, welchen Netzwerkknotenpunkt wir mit der Stimulation verstärken oder abschwächen müssen, um die Erholung des Gehirns zu unterstützen – das ist brandaktuell“, sagt die Wissenschaftlerin.
Parallel dazu sind die Forscher um Fink und Grefkes beteiligt an der bisher weltweit einzigen klinischen Studie zur TMS als Therapie für Schlaganfallpatienten, die 150 Frauen und Männer berücksichtigt. In einer bereits vorausgegangenen Machbarkeitsstudie konnten sie an 26 Patienten zeigen, dass sich mit TMS die Motorik der Patienten in den ersten zwei Wochen nach dem Schlaganfall verbessern lässt. Dazu hatten die Forscher die Hirnregion zusätzlich angeregt, die für Bewegung zuständig ist. „Die Vernetzung der Hirnareale hat sich durch die Stimulation verbessert. Und gerade diese Vernetzung gilt als einer der wichtigsten Faktoren, damit sich das Gehirn wieder erholt“, so Grefkes.
Die sehr aufwendige klinische Studie läuft seit zwei Jahren und wird voraussichtlich noch zwei weitere Jahre in Anspruch nehmen. „Gelingt es uns, den Erfolg aus der Machbarkeitsstudie in der großen Gruppe zu wiederholen“, sagt der Mediziner, „hätten wir die erste wirklich gut überprüfte Therapie, die die gängigen Rehabilitationsmethoden um einen völlig neuen Ansatz ergänzt.“
Katja Lüers
Hirndoping in Sicht?
Die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums (DARPA) investiert schon seit Jahren viel Geld, um die Techniken zur Hirnstimulation zu optimieren: Unumstritten ist, dass Elektroden am Kopf die Aufmerksamkeit steigern können. Mit einer Dosis Gleichstrom wurde Soldaten bei der Steuerung von Drohnen die Müdigkeit vertrieben und die Reaktionsgeschwindigkeit verbessert. Überlegungen reichen bis zu Spulen im Helm, die die Soldaten über entsprechende Stimulationen wachhalten.
Stimulation des Gehirns – ein Überblick
Innerhalb der Nervenzelle läuft die Signalverarbeitung über elektrische Prozesse. Wissenschaftler sind deshalb in der Lage, das Gehirn von außen über elektrische oder magnetische Impulse zu beeinflussen. Für diese sogenannte transkranielle Hirnstimulation benutzen sie Gleich-(tDCS) oder Wechselstrom (tACS) oder setzen Magnetfelder (TMS) ein. Sie erhoffen sich von der Methode neue Therapieansätze gegen Schmerzen, Depressionen und zur Rehabilitation nach Schlaganfällen.
Transkranielle Magnetstimulation (TMS)
Bei dieser Hirnstimulation stimulieren Forscher mit einer Spule am Kopf die Nervenzellen in der Großhirnrinde des Gehirns. Schickt man über die Spule binnen Millisekunden bei großer Spannung ein starkes, gepulstes Magnetfeld durch Haut und Knochen ins Gehirn, werden die Nervenzellen in ihrer Aktivität verstärkt oder abgeschwächt. Dieses einfache Verfahren verursacht keine Schmerzen, es kribbelt höchstens ein bisschen im Kopf.Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS)
Auch die tDCS ist ein nicht-invasives Hirnstimulationsverfahren, das keine Schmerzen verursacht. Dafür werden an der Kopfhaut Elektroden angebracht, über die ein schwacher Strom durch das Gehirn fließt und die Hirnrinde erregt. Eine negativ geladene Elektrode (Kathode) an die Schädeldecke angelegt, vermindert die Erregbarkeit der Nervenzellen, eine positiv geladene Elektrode (Anode) erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Nervenimpulse ausgelöst werden. Die tDCS wird in den USA eingesetzt, um Depressionen zu behandeln. Die US-Arzneimittelbehörde hat bereits 2008 ein Gerät zur Behandlung zugelassen.Transkranielle Wechselstromstimulation (tACS)
Im Gegensatz zur Gleichstromstimulation arbeitet die tACS mit Wechselstrom. Ähnlich wie bei der tDCS werden Elektroden an der Kopfhaut angebracht, zwischen denen aber ein Wechselstrom angelegt wird. Amplitude, Frequenz und relative Phasenverschiebung des Stromflusses können vorgegeben werden. Somit kann die rhythmische Aktivität im Gehirn, die unsere Aufmerksamkeit und viele weitere geistige Fähigkeiten bestimmt, direkt beeinflusst werden. Die Idee: mit Hilfe von Wechselstrom bestimmte Desynchronisationen im Hirn wieder zu synchronisieren. Die klinische Anwendung steht aber noch am Anfang.© 2022 Forschungszentrum Jülich